Die Farbe der Träume
kaum größer als Hundehütten – Schlafplätze für solche, die kein Geld für Taue und Segeltuch hatten. Diese Bruchbuden wurden mit Nägeln und Flachs zusammengehalten, und Joseph sah Männer, die in deren armseligem Schatten saßen, Pfeife rauchten oder Tee kochten. Oder sie starrten einfach nur ins Leere und pflegten wie Genesende die Schmerzen in ihren Armen, die von der unaufhörlichen Arbeit stammten.
Und das allgegenwärtige Rattern der Goldwaschrinnen zeugte von dieser Arbeit. Denn es gab nur den einen Weg zum Gold: Man musste die Erde ausgraben, sie waschen und sieben. Unddie Erde sprach zu den Goldsuchern von Kaniere, schlich sich in ihre Träume und ließ sie nicht ruhen.
Niemand beachtete Will und Joseph. Die Kaniere-Erdarbeiter wussten, dass der Goldrausch im Gange war, dass täglich neue Menschen kommen und die Claims sich immer weiter ausbreiten und bis hoch ins unerbittliche Buschland kriechen würden. Erst abends saßen die Männer am Feuer, tranken und erzählten sich Geschichten, denn das Tageslicht war zu kostbar, um mit Gequatsche vergeudet zu werden. Das Licht war dreißig Schilling wert.
»Wenn Sie wollen, könnten wir unser Glück hier versuchen, Mister Blackstone«, sagte Will.
Joseph starrte auf die Szenerie und fand sie hassenswert. Sein Vater kam ihm in den Sinn, der einmal von einer quiekenden Schweineherde gegen ein Eisengeländer gedrückt worden war und in der Not sein kostbares goldgerändertes Auktions-Merkbuch hoch gehalten hatte. Danach hatte Roderick Blackstone zwar peinlichen Schweinesabber an seiner schwarzen Hose, aber er war »siegreich« gewesen, erklärte er, »absolut siegreich, weil mein Merkbuch keinen Schaden genommen hat.«
»Nein«, sagte Joseph. »Wir ziehen weiter flussaufwärts, Will. Wir müssen hier weg, dorthin, wo das Wasser sauber ist.«
Es war viel weiter bis Kokatahi, als sie gedacht hatten, und die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden, als sie in der dunstigen Ferne eine Mundharmonika hörten:
»Flieg, mein Boot, wie ein Vogel auf Schwingen,
Über das Meer und heimwärts nach Skye …«
»Schotten«, flüsterte Will. »Das ist doch ein Zeichen. Die Pisser, die ich im Plumpsklo belauscht hab, waren Schotten.«
Die melancholische Melodie klang irgendwie tröstlich und schien sie weiterlocken zu wollen, doch Joseph setzte den Karren ab, wo er stand, ziemlich weit weg von der Musik. Er wartete einen Augenblick, schaute sich um, fühlte das Nahen der Dämmerung und merkte mit einem Mal, wie restlos erschöpft er war.
Also schickte er Will los, um Zweige und Holz für das Feuer zu sammeln, während er selbst das Zelt aufbaute, das er vor sehr langer Zeit gekauft hatte. So wie jetzt hatten ihm sein Rücken und die Arme in all der Zeit auf der Farm nicht weh getan. Trotzdem machte er sich, so geduldig und sorgfältig, wie er nur konnte, an das Aufstellen des Zelts. Die Musik endete, und in der Stille hörte Joseph wieder das Rauschen des Flusses. Während er die Heringe einschlug, stellte er fest, dass die Erde hier viel weicher war als überall sonst, wo er an diesem Tag entlanggelaufen war, weicher als jeder denkbare Boden überhaupt.
Nachdem Joseph einige Stunden tief und fest wie ein Toter geschlafen hatte, weckte ihn ein seltsames Geräusch.
Will Sefton lag neben ihm. Der Junge war nackt, hatte die Decke weggeschoben und spielte auf seiner Blechflöte, entlockte ihr kurze, sich wiederholende Töne wie von einem Vogel.
»Was machst du da, Will?«, fragte Joseph.
»Ich spiel auf meiner Flöte. Klingt wie der Glockenvogel, finden Sie nicht?«, sagte Will. »Ich kann es doch genauso schön? Ganz genauso schön?«
»Ja«, sagte Joseph mit verschlafener, belegter Stimme. »Genauso schön.«
»Ich flöte nur nachts«, flüsterte Will. »Immer um Mitternacht. Das gefällt mir, so in der Dunkelheit. Am Arrow haben sie mich Flöten-Willie genannt! Passt sehr gut, der Name. Aber sie wussten auch, dass ich es nur im Dunkeln mache.«
Joseph lag da und sah den Jungen an, und jetzt begriff er, was er die ganze Zeit nicht hatte wahrhaben wollen: dass dieser Moment kommen würde.
»Wie möchten Sie es gern, Mister Blackstone?«, fragte Will. »Ich habe nämlich gelernt, dass sie es auf verschiedene Weise mögen, und mir ist es gleich, wie.«
»Dir ist es gleich, wie?«
»Ganz egal. Hab ich Ihnen doch gesagt. Ich biete meine Dienste an. Krieg mein Geld … Manche wollten, dass ich sie küsse, und ich hab auch das getan. Hab ihre Lippen wie ein
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