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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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etwas Süßes.
    Immer näher rückte das Ufer heran, an der Küste war im Mündungsbereich schon eine Ansammlung niedriger Gebäude zu erkennen. Der Dunst hatte sich in Regen verwandelt, und jetzt drängten sich zwei Männer der erschöpften Mannschaft durch die Menge zum Bug, wo sie ein Senkblei fallen ließen, in die Tiefe starrten und nach hinten zum Ruderhaus Anweisungen brüllten. Die nassen, zitternden, geschwächten Passagiere scharten sich um sie, denn sie spürten, dass etwas Neues geschah und die Gefahr noch nicht vorüber war.
    »Was?«, fragten sie. »Was ist da?«
    »Ist nur selten zu sehen«, sagte der eine Matrose. »Aber sie ist da.«
    Die Nachricht machte rasch die Runde: Es war die Hokitika-Sandbank, eine lange Schlange aus Sand und Kies, die mit den Gezeiten wanderte und manchmal zu einem massiven Riff anschwoll, nur zwei Faden unter der Wasseroberfläche. Sie lauerte den einfahrenden Schiffen auf, rief wie ein Magnet nach ihrem Kiel und ließ sie zerbersten. Ein Gerücht besagte, dass nur die Maori die Launen und Verwandlungen der Sandbank kannten. Sie würden, hieß es, in ihren flachen Booten, den mokihi, dem Sand zuflüstern, den Fremden aber, den Pākehā auf den großen, kiellastigen Schiffen, würden sie den Tod zuflüstern. Zwischen dem Treibholz am grauen Strand konnten die Männer an Bord der Wallabi zerschmetterte Rümpfe und gebrochene Masten der Schiffe sehen, die auf die Sandbank aufgelaufen waren. »Durchschnittlich an jedem zehnten Tag ertrinkt jemand in Hokitika«, sagte einer der Goldsucher mit eigenartig zufriedenem Lächeln. Und alle fragten sich dasselbe: Könnten wir von hier aus an Land schwimmen, falls der Dampfer sich auf der Sandbank festfährt? Es wurde heftig spekuliert: Wie kalt ist das Wasser? Wie stark ist die Unterströmung? Wie hoch sind die Brandungswellen?
    »Ich werde schwimmen«, sagte Will Sefton zu Joseph. »Es würde mir nichts ausmachen, wenn ich ertrinke. Spült mich durch, die Salzsee. Spült die Maden aus mir raus.«
    Joseph musste daran denken, wie häufig er im Leben ganz dicht an etwas drangewesen war, es dann aber doch verloren hatte. Jetzt hatte er die Landschaft direkt vor Augen, wo ihn, in einer steinigen Schlucht oder unter den Wurzeln des Manuka-Buschlands, seine Zukunft erwartete. Doch noch lag diese letzte kleine launische Wasserfläche zwischen ihm und dem harten Boden seiner Hoffnungen, und er fürchtete, hier, im Angesicht des Festlands, zu sterben, ohne es erreicht zu haben. Er schluckte den letzten Rest vom Keks hinunter und sprach ein Gebet: Bitte mach, dass ich zu Reichtum komme, bitte mach, dass ich das Glück des Reichtums erlebe, bevor ich dahingerafft werde.
    »Ich würde schwimmen«, sagte er zu Will. »Ich würde mich an Land kämpfen.«
    Aber der Dampfer fuhr immer noch. Alle warteten auf den Augenblick, wenn der Kiel die Sandbank rammen würde, doch dieser Augenblick kam nicht. Die Wallabi hatte wenig Tiefgang und konnte den Tücken der Sandschlange ausweichen. Sie dampfte mutig voran, geschoben noch von den sich brechenden Wellen. Schließlich merkten Joseph und Will und die anderen Passagiere, dass der Wind sich legte und der Regen wundersamerweise aufhörte, als die breiten Arme des Hokitika-Flusses die Wallabi empfingen und sie auf einen sicheren Anlegeplatz zusteuern konnte.
II
    Es gab sie eigentlich kaum, die Stadt Hokitika: Der Ort war so verloren, so fern von allem, dass er nie damit gerechnet zu haben schien, jemals eine Stadt oder etwas Stadtähnliches zu werden. Vielmehr schien es, als habe er vor, sich in nicht allzu fernerZeit wie ein Floß von der Küste zu lösen und von den Gezeiten forttragen zu lassen.
    Es gab einen breiten Kai, der gegen das unkalkulierbare Steigen und Fallen des Wassers schützte und auf dem sich ein Häufchen schäbiger, niedriger Baracken drängte. Einige schlammige Pfade führten aber auch schon weg vom Kai und wagten sich, fast verblüfft, dass es sie überhaupt gab, zögerlich ins Buschland hinaus. Entstanden waren diese Plätze und Gassen mit der Goldsuche: Läden, die mit Zelten und Pickeln, mit Angeln und Streichhölzern handelten; eine Bäckerei; zwei Banken; ein Hotel mit einem Flaggenmast, der von den salzigen Winden schon verrostet war; das gelb gestrichene Büro der Verwaltung, wo für dreißig Schilling Schürflizenzen verkauft wurden.
    Mit Einbruch der Nacht waren die Neuankömmlinge der Wallabi alle im Hotel untergebracht, nachdem sie ein paar Pennies für heißes Wasser und

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