Die Farbe der Träume
sein Glück gemacht hätte.
Ohne leidenschaftliches Verlangen gelingt nichts.
Er wusste aber auch – von all den Stunden und Tagen, in denen er den Schlick am Ufer seines Bachs gewaschen hatte, dass Goldsuche die reinste Schinderei ist: eine Schinderei für Körper und Seele. Und deshalb konnte ein geduldiger und demütiger Goldgräber – einer, der jeden Tag mit einer Hoffnung so winzig, dass sie fast gar keine Hoffnung war – vielleicht aus einem schwierigen Boden oder sogar einem Boden, den die Menge verlassen oder übersehen hatte, kleine Körnchen des kostbaren Golds aufspüren, die niemand sonst jemals gefunden hätte.
Joseph sah noch immer den Chinesen beim Reisumrühren zu. Er blieb, wo er war, und versuchte, seine Hände am eigenen Körper zu wärmen. Er begriff, dass diese Menschen sich sogar hier – auf dem offenen Deck unterm Sternenhimmel – im Licht der winzigen Flamme ein privates Reich geschaffen hatten und dass sie sich gegen jedes Eindringen von außen wehren würden.
Joseph schloss die Augen. Die Wallabi war nur ein Küstendampfer, aber bis zur Meerenge im Norden würde die See friedlich bleiben. Er versuchte, seinen Kopf leer zu machen, alles Sehnen und Verlangen zu vertreiben und sich vom Auf und Ab des Schiffs in den Schlaf schaukeln zu lassen. Am inneren Augenrand sah er etwas Weißes. Es bewegte sich wie ein Wasserfall oder wie die Musselinvorhänge, die Harriet und ihn im Zimmer in D’Erlangers Hotel umschlossen hatten.
ZWEITER TEIL
D ER A UFSTEIGER
I
Die Wallabi verließ den Hafen von Nelson in Richtung Norden und fuhr, zusätzlich angetrieben von einem starken Südwind, in die Tasmanische See hinaus. Doch als der alte Dampfer Kap Farewell umrundet hatte und, gegen den Wind, nach Südwesten abdrehte, glaubten die Passagiere, in eine völlig andere Welt geraten zu sein.
Jetzt bekamen sie die wahre, gnadenlose Unermesslichkeit des Meeres zu spüren. Sie konnten das Land durch den Schleier aus Gischt und Dunst noch immmer sehen und starrten auch ständig dorthin, wie um sich des rettenden Ufers zu versichern, falls das Schiff den Kampf gegen die hohen Wellen doch verlieren sollte. Was sie aber an der Küste sahen, waren Berge, die sich, direkt aus dem Wasser aufsteigend, einer über den anderen türmten, und es wollte ihnen so scheinen, als hätte sich das Land hier an der Westküste gegen sie verschworen.
Sie hielten ununterbrochen Ausschau nach einer Stelle, wo ein Schiff vielleicht doch landen könnte, entdeckten aber keine. Die Klippen waren unerbittlich, und dichtes Buschland krallte sich noch in erstaunlichen Höhen in die letzten Zentimeter Erdreich. Es blieb den Männern nichts anderes übrig, als sich weiter an die Wallabi zu klammern, an Gegenstände, die festgeschraubt waren und eigentlich unbeweglich sein sollten, sich jetzt aber beim Rollen und Stampfen des Schiffes zu verschieben schienen. Sie fluchten, wenn plötzlich ein straffes Tau schlaff wurde oder wenn sogar die Schiffsreling sich mit einem Mal hob und sie an Arm oder Kinn verletzte. Ein Dauerschmerz schien sich in ihnen eingenistet zu haben. Sie fühlten sich, als wären sie weit über hundert Kilometer zu Fuß gelaufen.
Auch Joseph sah zu den Bergen hinüber. Er musste wieder an die Fahrt auf der SS Albert denken, wie hoffnungsvoll er damals ins blaugrüne Wasser geblickt und mit welch triumphierendem Gefühl er England und seine Gefahren hinter sich gelassen hatte. Kaum ein bewölkter oder kalter Tag wollte ihm einfallen, obwohl es sie auf jener ersten Reise gegeben haben musste, doch in seiner Erinnerung war das Meer auf der wochenlangen Fahrt über den Indischen Ozean einfach nur freundlich und strahlend gewesen.
Er hatte viele Stunden ins Kielwasser der Albert gestarrt und zugesehen, wie der Abstand zwischen ihm und den Dingen, die ihn fast vernichtet hatten, immer größer wurde. Und es war, als folgte ihm die Sonne und machte sich mit ihm nach Süden auf, und nachts versammelten sich die Sterne direkt über ihm.
Doch hier, hinter Kap Farewell, verschwanden Sonne und Sterne, als wäre es für immer, als ließe die Wallabi alles tröstlich Normale unwiderruflich hinter sich und führe zu einem Ort, von dem kein einziger der Passagiere jemals wiederkehren würde.
Joseph und der Junge Will Sefton suchten Halt an der Reling auf dem Achterdeck. Der Junge war blass und in Schweigen versunken und zitterte in der grimmigen Kälte. Als etwas Weißes, Schleimiges hochwirbelte und eine Weile im Kielwasser
Weitere Kostenlose Bücher