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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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– wie etwa schreiben und reden – gleichzeitig tun, und so gab er keine Antwort.
    »Vorname der Verstorbenen?«, knurrte er etwas später.
    »Lilian«, erwiderte Harriet.
    »Weitere Namen?«, sagte er mit einem langen, erschöpften Seufzer.
    »Lilian May«, sagte Harriet, die begonnen hatte, das Handtuch von Lilians Kopf zu wickeln. »Lilian May Blackstone.«
    Harriet wurde von Dr. Pettifer dann darüber informiert, dass »in wenigen Tagen« ein Beerdigungsunternehmer aus Rangiora kommen werde. In wie vielen Tagen genau, konnte er nicht sagen. Und dann war er fort, mitsamt seinem Äthergeruch und seinem schäbigen Mantel und seiner Müdigkeit, saß auf seinem rotbraunen Pferd, das in die Dunkelheit trottete, und Harriet war allein mit Lilian.
    Sie war froh, dass die Hitzewelle vorbei war. Die kühlere Mailuft würde freundlich zu der Leiche sein. Alles, worum sie den Himmel anflehte, war, dass das Lehmhaus durchhielt und das Blechdach nicht auf Lilian niederkrachte, während sie da lag und darauf wartete, zur Ruhe gebettet zu werden.
    Harriet fütterte den Hund und kochte sich einen Tee, und dann saß sie mit Lady an Lilians Bett, und die einzigen Geräusche waren das Klappern der Teetasse auf der Untertasse und das Malmen von Ladys Zähnen auf einem abgenagten Knochen.
    Jetzt waren Lilians Augen beide geschlossen, und ihr drahtiger Zopf war inzwischen trocken, und Harriet hatte ihr alle Haare aus dem Gesicht gestrichen. Sie sah wirklich heiter aus. Und Harriet musste daran denken, wie oft Lilian im letzten Winter tagsüber ins Bett gegangen war und ganz genau so, mit der Nase in der Luft, dagelegen hatte, als würde sie das Sterben üben.
    Die Nacht verging sehr langsam. Harriet hielt Totenwache mit einer einzigen Lampe, und Lady schlief zu ihren Füßen. Immer wieder wanderten Harriets Gedanken jetzt auch zu Joseph. Sie wusste, dass er, der zu keinen starken Gefühlen fähig schien, sich immerhin bemüht hatte, Lilian ein möglichst schönes Leben zu bereiten. Und was er jetzt machte, tat er ja mindestens ebenso sehr für Lilian wie für sich selbst und für sie, Harriet, und für ihre gemeinsame Zukunft – er suchte Gold für sie alle.
    Harriet wusste nicht, wie Joseph die Nachricht vom Tod seiner Mutter aufnehmen würde. Sie glaubte, es werde ihn verändern, ohne dass sie hätte sagen können, wie. Und deshalb kam sie zu der Überzeugung, dass Joseph diese Nachricht so schnell wie möglich erhalten sollte, ganz gleich, wo er war, und dass sie selbst ihm diese Nachricht überbringen musste, denn wer hätte es sonst tun sollen. Als seine Frau war sie ihm das schuldig.
    Als der Morgen anbrach, zog Harriet das Laken über Lilians Gesicht und ging hinaus, die Tiere füttern. Der Himmel war blau, aber sie sah, dass sich am südlichen Horizont Wolken ballten, und sie fühlte, wie der Wind wieder auffrischte, und roch den heranziehenden Regen.
II
    Harriet saß mit Dorothy Orchard vor dem Kamin, während der Regen gegen die Fenster prasselte, und beschrieb ihr, wie sie Lilian in ihr schönstes schwarzes Bombasin-Kleid und ihre Lieblingshaube gekleidet hatte. Und als sie im Sarg lag, hatte sie ihr das Bild von Joseph als Kind in die Hände gelegt, das Harriet zum ersten Mal in Lilians Zimmer bei Mrs Dinsdale aufgefallen war.
    »Die arme Frau«, sagte Dorothy. Dann fragte sie: »War es ein schöner Sarg?«
    Harriet schüttelte den Kopf. »Ich fand …«, begann sie, »ich fand die Seitenwände zu dünn. Ich hatte Angst, sie würden sich beim Anheben durchbiegen.«
    »Du liebe Güte«, sagte Dorothy. »Genau das habe ich auch schon gehört, dass die Bretter, die sie benutzen, nichts taugen.«
    »Aber Lilian war zum Glück nicht so schwer«, fuhr Harriet fort. »Ich glaube, unser Leben hier hat sie ausgezehrt. Sie wurde jedenfalls sicher zu Grabe getragen.«
    »Und Sie waren wahrscheinlich der einzige Trauergast?«
    »Ja. Aber ich habe es sogar geschafft, ein Lied zu singen, das Lilian mochte: ›Schwinget das flammende Banner‹.«
    Edwin, der in einer Ecke des Salons gesessen und an einer Geschichte über einen Moa-Vogel geschrieben hatte, legte den Bleistift beiseite und fragte plötzlich: »Was ist Bombasin?«
    Harriet blickte zu Edwin. Obwohl es recht dämmrig im Raum war, sah sie, dass seine Augen müde wirkten. Sie erklärte, Bombasin sei ein Stoff, halb Seide, halb Kammgarn, aus dem sehr häufig die Trauerkleidung genäht werde.
    Edwin sagte: »Wenn man stirbt und in den Himmel kommt, hat man dann in der ganzen

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