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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Ewigkeit nur eine Sache zum Anziehen?«
    »Also wirklich! So eine Frage!«, sagte Dorothy. »Aber wenn Kinder sterben, dann bekommen sie ganz bestimmt wunderschöne weiße Gewänder und Flügel aus Federn.«
    »Ich will keine weißen Gewänder«, sagte Edwin.
    »Nein?«, sagte Dorothy. »Aber du stirbst doch auch gar nicht. Jedenfalls nicht, bevor du sehr, sehr alt bist.«
    »Doch«, sagte Edwin. Und dann machte er sich wieder an seine Geschichte und schrieb gleich weiter: Eines Tages blickte der Moa um sich und sah, dass er sehr einsam war … Die beiden Frauen warfen einander einen Blick zu und hörten Edwin sagen: »Ich werde dann fragen, ob ich die Flügel bekommen kann, aber ohne die Kleider.«
    Dorothy stand auf, ging zu Edwin und legte einen Arm um ihn. »Wieso sagst du, dass du sterben wirst, mein Schatz?«, fragte sie. »Wie um Himmels willen kommst du nur auf so eine Idee?«
    Edwin sah nicht seine Mutter an, sondern das Bild von dem Moa, mit dem er seine Geschichte illustriert hatte. »Willst du schon mal den Anfang von der Geschichte hören, Mama?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Dorothy. »Ich möchte schrecklich gern deine Geschichte hören. Aber erst möchte ich wissen, wieso du gesagt hast, du wirst sterben.«
    Edwin starrte auf sein Bild. Er dachte, dass die Farben vielleicht alle falsch waren und dass der Moa vielleicht gar nicht gelb und rot war, sondern langweilig braun wie der Kiwi.
    »Edwin«, sagte Dorothy und drückte ihn fester an sich. »Antworte mir.«
    »Der Moa war gar nicht rot und gelb, nicht?«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, welche Farbe er hatte«, sagte Dorothy. »Ich will eine Antwort auf meine Frage!«
    Ihre Stimme klang jetzt verärgert, ohne das sie dies gewollt hätte. Und sofort hatte Edwin Tränen in den Augen. Er weinte nicht, weil seine Mutter ihn so bedrängte, sondern aus Kummer über Pare, die aus seinem Leben verschwunden war. In seinen Träumen sah er Pare von einem Felsen in einen Fluss stürzen und in den Tod treiben. Und in all diesen Träumen war ihm so, als rufe sie ihn, als solle er ihr folgen.
    Doch jetzt träumte Edwin Orchard nicht, glaubte aber gleichwohl, dass er ihr tatsächlich folgen werde, wenigstens im Geiste, und dass Pares Rufe erst aufhören würden, wenn er sie erreicht hätte, und um sie zu erreichen, würde er aus seinem Leben hier weggehen müssen. Er würde seinen Eltern nichts davon sagen können, sie höchstens so wie eben jetzt zu warnen versuchen. Und sehr bald würde er sie verlassen müssen.
    Dorothy schüttelte Edwin jetzt regelrecht, und auch in ihren Augen standen nun Tränen. »Edwin«, flehte sie, »sag es mir. Sag es mir. Sag mir, was du gemeint hast!«
    Edwin wusste, dass er mit der einen Hälfte seines Herzens Pare folgen wollte, aber mit der anderen wollte er bei Dorothy und Toby und den Hunden und Janets blauen Puddings bleiben. Seine Tränen fielen auf das Bild vom Moa, und an manchen Stellen mischten sich das Rot und das Gelb zu einem komischen Orange. Er versuchte Dorothy wegzustoßen. »Halt mich nicht so fest, Mama!«
    »Ich halte dich so lange fest, bis du mir sagst, was du gemeint hast. Ich werde dich halten und niemals loslassen.«
    »Ich hab nur gesagt, ich will keine solchen Kleider …«
    »Aber wieso geht es überhaupt um diese Kleider? Bist du krank, Edwin? Ist etwas passiert, was du uns nicht gesagt hast?«
    »Nein! Ich hab das nur gesagt, falls …«
    »Falls? Was meinst du mit ›falls‹?«
    »Falls ich stürze …«
    »Stürzen? Von wo denn? Von deinem Pony?«
    »Von irgendwo. Und alles was ich gemeint habe, war, dass ich gern nur die Flügel hätte und nicht diese weißen Sachen und kein Bombasin!«
    Mutter und Sohn weinten jetzt beide und umklammerten einander, und Harriet stand auf, ging langsam zu ihnen und setzte sich ihnen gegenüber.
    »Harriet«, schluchzte Dorothy, »Wie um Himmels willen ist er nur auf die Idee gekommen?«
    »Ich glaube«, sagte Harriet sanft, »dass er vielleicht etwas geträumt hat. Stimmt das, Edwin? Ich glaube, du hast irgendwo sehr schön gelegen, vielleicht in deinem Bett, vielleicht irgendwo anders, im Toi-Toi-Gras zum Beispiel, und dann bist du eingeschlafen und hast geträumt, du bist gestürzt und gestorben. Und jetzt geht der Traum nicht weg. Stimmt das?«
    Edwin hob den Kopf von Dorothys Schulter. Er hörte auf zu weinen. Er sagte nichts, sondern nickte nur und sah Harriet mit seinen großen, grauen Augen ernst an.
    »Ist das so?«, fragte Dorothy. »Hat Harriet Recht? Hast du

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