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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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sehen, aber sie waren da, Lilian konnte sie fühlen. Die Flammen waren überall um sie herum und in ihr, und ihre Hitze war größer als alle Hitze, die sie jemals erlebt hatte. Sie war in einem Ofen und trug einen Helm aus Eisen. Sie war in der Hölle.
    Gott. Lieber Gott.
    Sie versuchte, ihre Hand zu bewegen, und stellte fest, dass es ging, und sie dachte, wenn sie die Hand bewegen konnte, würde sie vielleicht auch aus der Hölle klettern und auf einer wunderschönen leichten Leiter aus Musselin in den Himmel steigen können. Also richtete sie sich auf und sah, dass sie in einem ihr sehr vertrauten Zimmer angekommen war.
    Sie hätte es überall erkannt: Es war ihr Zimmer. Der Name des Ortes, wo dieses Zimmer sich befand, wollte ihr nicht einfallen, aber sie wusste, dass es ihr Zimmer war. Es gab ein kleines Fenster, zwischen dessen Chintzvorhängen hindurch die Sonne schien, und eine Eichenkommode mit einer Reihe sehr adrett angeordneter Fotografien in Kirschholzrahmen.
    Das Zimmer hatte gestreifte gelbe Tapeten. Auf einem Waschtisch sah sie einen Porzellankrug und eine Schüssel von Paines in Stafford. Und neben dem Krug und der Schüssel stand eine Vase mit Blumen, und Lilian konnte ihren Duft riechen und sich vorstellen, woher sie stammten, von einer grünen Wiese.
    Ihr Zimmer.
    Sie hoffte, dass es sauber und aufgeräumt war. Sie war immer stolz auf ihre Ordentlichkeit gewesen.
    Es sah ziemlich ordentlich aus. Hinten im Schatten konnte sie den vertrauten Kleiderschrank erkennen und obendrauf diesorgfältig gefaltete Schottenmusterdecke, die im Winter immer aufs Bett kam. Aber Lilian glaubte nicht, dass jetzt Winter war, Sommer aber auch nicht, wenn sie es sich richtig überlegte, weil im Zimmer nicht mehr die glühende Hitze herrschte, die sie noch vor wenigen Minuten gespürt hatte. Alles in allem war es in dem Zimmer genau so, wie sie es gern hatte, nicht kalt und nicht zu warm. Und deshalb ließ Lilian die Hand wieder auf das Kissen sinken. Sie konnte sich jetzt ausruhen, sagte sie sich. Sie war in ihrem Zimmer in England, und es war Frühling.

D AS ZERRISSENE B ILD
I
    Während Harriet in zunehmender Dunkelheit nach Rangiora ritt, dachte sie, dass das Leben, alles in allem, bisher sehr wenig von ihr gefordert hatte, verglichen mit dem, was es vielen anderen abverlangte, doch jetzt, in dieser Nacht, wollte es etwas Entscheidendes von ihr: Sie musste Lilian retten.
    Als sie an Dr.Pettifers Tür klopfte, erfuhr sie von seiner Frau, er sei zu einer Entbindung gerufen worden. Zuerst sagte Harriet, sie werde hier draußen auf der schmalen Straße auf ihn warten, doch dann fürchtete sie plötzlich, die halbe Stunde Verzögerung könnte über Leben oder Tod entscheiden, und sie fragte Dr.Pettifers Frau, ob sie zum Haus der Schwangeren gehen könne, um ihren Mann dort abzufangen.
    Sie wurde zu Parson & Co geschickt, einem Geschäft, das Tee und Kaffee verkaufte. Dort sollte sie klingeln. Sie band Billy an einen Pfosten und starrte in das Schaufenster. Auf der Ladentheke sah sie flackernde Kerzen und daneben einen Tapeziertisch mit den spärlichen Resten einer Mahlzeit, und sie dachte, hier würde das Kind, das da gerade geboren wurde, wahrscheinlich später täglich bei Kerzenschein sein Abendbrot essen, hier in dem winzigen Laden, in dem seine Eltern den ganzen Tag arbeiteten, und es würde dies sicher sein Leben lang nicht vergessen. Sie klingelte, aber niemand kam. Nach einem zweiten Klingeln öffnete sie einfach die Tür und betrat den Laden.
    Der Duft nach Kaffee erinnerte Harriet an den Duft von Holzfeuern und daran, dass der Mensch, wenn die Ereignisse sich jagten, gelegentlich innehält und eine Pause einlegen muss, damit der Körper ruhen und sich wohlfühlen kann. Und deshalb setzte Harriet sich – nur für einen Moment – auf einen der halb an den Tisch gezogenen Stühle und atmete genüsslich den Duftder Kaffeebohnen ein, der den überall im Raum gestapelten Säcken entströmte, und ruhte sich aus.
    Sie wusste, dass sie ein Eindringling war und eigentlich draußen hätte warten sollen, bis jemand auf das Klingeln antwortete, »doch wie es scheint«, stellte sie gelassen fest, »habe ich genau das nicht getan, und ich weiß im Grunde auch nicht, wieso«. Und ihr kam der Gedanke, dass sie in ihrem Leben womöglich schon viele solcher kleinen Übertretungen begangen hatte, ohne sich ihrer bewusst zu sein.
    Jetzt hörte sie in dem Raum hinter dem Verkaufstresen eine Frau rufen: »Lucas, wo bist du?« Und

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