Die Farbe der Träume
kein Tag vergehen, an dem diese Kunst nicht bestaunt und bewundert wurde.
Das Schieben der Schubkarre war »schrecklich, einfach nur schrecklich«, und bei jedem mühsamen Schritt verfluchte Lilian das Haus, weil es so weit weg von der Stelle stand, wo es eigentlich hätte stehen sollen. Aber schließlich hatte sie es dochgeschafft und fuhr die Säcke zum Kamin und sah gerade noch ein Tier – eine Maus oder eine Ratte –, das aus einem Loch in der Wand huschte. Meine Rettungsmaßnahme, dachte sie, kommt keinen Augenblick zu früh.
Nachdem sie sich einen Moment lang an die Wand gelehnt, verschnauft und den Schweiß abgewischt hatte, begann sie, die Säcke herauszuwuchten. Aber sie stellte fest, dass sie sie nicht wie Roddy zu einem vernünftigen Muster anordnen, sondern nur auf einen Haufen fallen lassen konnte, um sie dann mit Schieben und Stoßen halbwegs an die richtige Stelle zu befördern. Und als sie endlich da lagen, sah sie, dass der Abstand zwischen den Säcken und dem schlimmsten Loch kolossal war. Kolossal . Dabei war ihr das Lehmhaus immer so klein vorgekommen. Ihr fiel wieder ein, wie der Schnee es damals in einer einzigen Nacht fast ganz zugedeckt hatte. Lilian hätte schwören mögen, dass es seitdem gewachsen war. Die Wand ließ sie und ihre Mühe lächerlich erscheinen. Aber so war das Leben, sagte sie sich: Die Dinge lassen einen schrumpfen. Und man hat die Pflicht, gegen die eigene Bedeutungslosigkeit anzukämpfen.
Lilian ging wieder zum Bach. Sie arbeitete so verbissen, dass sie die Kälte nicht spürte, außer in den Füßen, wenn sie direkt am Bachrand stand.
Sie merkte auch kaum, dass es wieder zu regnen begann. Sie machte einfach weiter – immer einen Handgriff nach dem anderen –, bis sie den Eindruck hatte, jetzt ging es nicht mehr. Sie ließ die Schaufel fallen und sagte sich, gleich werde sie ihre zweite – oder war es die dritte? – Schubkarre mit Säcken zum Haus hinauffahren und die »Wand« weiterbauen, die sie begonnen hatte. Aber jetzt spürte sie, wie eine Art Benommenheit sie überkam. So eine Benommenheit hatte sie noch nie erlebt, und ein wenig faszinierte Lilian dieser seltsame Zustand. Sie sollte sich lieber hinsetzen, wo sie war, dachte sie, einfach zwischen Josephs Kieshaufen, und ergründen, was für eine Benommenheit das wohl sein mochte.
Also setzte sie sich, und der Regen fiel auf sie und durchnässte ihren Leinenhut und lief in ihre Taschen und sickerte durch die Schnürsenkellöcher ihrer schlammigen Stiefel.
Sie blickte um sich und erkannte nichts. Laut sagte sie: »Ist das hier Waterloo?«
Lady fand sie am frühen Nachmittag und gab winselnd Bescheid, und Harriet kam, so schnell sie konnte, angerannt. Lilian lag am Bach, ihr weißes Gesicht glänzte ölig im Regen.
Harriet kniete sich neben Lilian und fühlte einen schwachen Puls. Sie sah die Schubkarre, die halb mit Säcken beladen war. Vor lauter Sorge um Lilian entrang sich ihrer Brust ein leiser Schrei. Sie nahm Lilian in die Arme, hob sie hoch und legte sie so sanft sie konnte auf die Schubkarre.
Dann pfiff sie Lady, die gerade aus dem Bach trank, und der Hund folgte ihr, während sie die Karre langsam zum Haus zurückschob.
Sie zog Lilian aus, trocknete sie ab, wickelte ihr ein Handtuch um den Kopf und zog ihr ihr Lieblingsnachthemd aus Flanell an. Währenddessen überlegte sie die ganze Zeit, was jetzt zu tun war: Sollte sie hierbleiben und sie selbst pflegen oder nach Rangiora reiten und noch vor Einbruch der Nacht Doktor Pettifer holen?
Sie brachte Lilian zu Bett und hüllte sie in sämtliche Decken, die sie finden konnte. Sie streichelte ihre Hand und ihre Wange und sagte ihren Namen, ohne dass Lilian die Augen aufschlug. Draußen wurde es allmählich dunkel.
Sie stand auf, schrieb einen Zettel für Lilian: Bin nach Rangiora wegen Arzt . Sie suchte Lilians Lieblingsstopfpilz, wickelte ihn in den Zettel und drückte ihn Lilian in die Hand. Sie befahl Lady, bei ihr zu bleiben, und rannte los, um Billy zu holen.
Lilian wachte im dunklen Zimmer auf.
Von Säcken, die sie mit Steinen gefüllt hatte, wusste sie nichts.In ihrer Herzgegend spürte sie einen brennenden Schmerz, und irgendetwas hielt ihren Kopf zusammen, das sie für einen eisernen Helm hielt.
Sie dachte, sie sollte vielleicht beten, aber ihr fiel kein Gebet, kein Lied oder sonst irgendetwas ein, das mit Gott zu tun hatte, außer das Wort Gott. Also sagte sie es. Gott. Lieber Gott .
Sie war in einem Ofen. Sie konnte keine Flammen
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