Die Farbe der Träume
Doch nun, da sie sich dieser Einsamkeit ausgeliefert sah, spürte sie nur deren absolute Übermacht.
Trotzdem schob sie den Gedanken an ein feiges Unterkriechen bei den Orchards rasch beiseite. Sie wusste, wenn sie das tat, würde sie dort wahrscheinlich nie mehr fortgehen, denn ihre Zuneigung zu Edwin Orchard war größer als die zu ihrem Ehemann. Und sie wollte nicht auf eine Weise alt werden, wie sie ihr in England gedroht hatte, als Betreuerin der Kinder anderer Leute. Wieso um die halbe Welt fahren, nur um an einem Ort zu landen, der fast genauso ist wie der, den man verlassen hat? Dann sollte sie besser nach England und zu ihrem Vater zurückkehren, um sich, wenn schon, um ihn zu kümmern, anstatt ein Kuckuck im Nest der Orchards zu werden.
Es war jetzt früher Nachmittag, und Harriet schätzte, dass ihr noch vier oder fünf Stunden bis zur Dunkelheit blieben. Vor Einbruch der Nacht musste sie herausfinden, was noch brauchbar war und wie sich ein Schlafplatz herrichten ließ. Sie sagte sich, dass es in solchen Momenten am klügsten sei, in kleinen Schritten vorzugehen, eine einfache Aufgabe nach der anderen zu erledigen, bedächtig und wachsam wie ein Seemann, der sein Boot auf den kommenden Sturm vorbereitet. Doch die endlose Leere um sie herum machte ihr mehr Angst, als sie gedacht hatte, und es fiel ihr schwer, sich überhaupt von der Stelle zu bewegen. Sie blickte an sich hinunter, auf ihre staubigen schwarzen Stiefel mit den allmählich ausfransenden Schnürsenkeln, und war überrascht, wie klein sie wirkten.
T OTE A RBEIT
I
Der Augenblick des Claim-Absteckens – ein Augenblick, den Joseph Blackstone sich nun schon seit so langer Zeit ausmalte – brachte ihn in große Entscheidungsnöte. Mit dreißig Schilling hatte er ein Stück Land von zweiundzwanzig Quadratmetern erworben. Jedes Stäubchen Gold, das er darauf fand, würde ihm gehören. Aber wo sollte er dieses Land abstecken? Wie sollte er erraten, wo das Gold lag?
Er entfernte sich ein wenig von der Stelle, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte, und stellte sich zu den schottischen Goldgräbern, um zu gucken, was sie machten. Er wusste, dass das Beobachten anderer Claims eine gängige Praxis war. Neuangekommene warteten auf einem Goldfeld so lange mit dem Abstecken, bis sie gesehen hatten, zu welchen Ergebnissen es die anderen brachten. Hinter dem Lager der Schotten waren vier oder fünf weitere Claims abgesteckt worden und wurden auch schon mit Waschrinnen bearbeitet. Ladewinden waren errichtet worden, die das Hochholen der Erde beschleunigen sollten, und ihr Quietschen war wie ein erster Protestschrei, dachte Joseph, wie eine erste Klage über die große Veränderung, die Kokatahi erwartete.
Es war noch früh am Morgen und recht neblig. Joseph hatte Will angewiesen, im Kochgeschirr Wasser für den Kaffee aufzusetzen und ein paar Scheiben Speck abzuschneiden. Beim Weggehen hatte er noch gedacht, wie befriedigend es doch sein könnte, Will Sefton die Pflichten einer Hausfrau aufzutragen. Im kommenden Chaos würde Will das Zelt in tadelloser Ordnung halten, Vorräte kaufen und die Flussforellen auf einem Feuer braten, das er mit seinen kleinen Händen in Gang hielt. Und auch das Waschen würde er erledigen.
Joseph nickte den beiden Schotten zu, als er vor ihrem Claim stand. Ihre Arbeit wirkte sehr eingespielt. Der eine setzte die Pflöcke, und der andere maß die Strecken mehrere Male nach. Joseph sah, dass ihre Pflöcke bis ganz ans Flussufer reichten. Er wusste, dass Schürfer ihre größten Hoffnungen auf Wasserläufe und Gräben setzten und dass diese Flächen stets als erste besetzt und bearbeitet wurden. Wasser brauchte man bei der Goldsuche auch für das Betreiben der Waschrinne. Männer mit Berg-Claims mussten Wasserrechte kaufen oder die Errichtung einer Wasserrinne bezahlen, während die Graben-Männer genügend Wasser zur Verfügung hatten – manchmal sogar zu viel, dann nämlich, wenn ein Regenguss die Schächte füllte, die sie ausgehoben hatten, oder sogar ihre Zelte und Werkzeuge wegspülte.
»Wie sieht‘s aus?«, fragte Joseph die Schotten. »Wie viel hat sich hier schon gefunden?«
Der eine der beiden Männer hämmerte weiter Pflöcke ein und sah kaum zu Joseph auf, während er da im Nebel hantierte, aber der andere richtete sich auf und antwortete: »Alles, was wir gehört haben, ist das mit dem großen Klumpen im Entenhals.«
»Wenn es eine Ente war, kam es vermutlich vom Flussboden.«
»Das dürfen Sie gern vermuten.
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