Die Farbe des Himmels
freundlich. Und mich fauchst du nur an. Ich würde dich gern mal auf eine richtig gute Pizza einladen, wenn du nicht so kratzbürstig wärst.«
»Deine Pizza kannst du dir sonst wohin stecken! Ich bleibe bei den Ermittlungen bis zum Ende dabei, und keiner wird mich davon abbringen!« Thea verstummte. Ihr wurde bewusst, dass sie zu weit gegangen war.
»Mensch, Thea, ich kann gut nachfühlen, dass du es nicht wahrhaben willst. Es ist bestimmt nicht leicht zu schlucken, dass die eigene Mutter, die man gerade erst gefunden hat, eine Mörderin sein soll. Ich verstehe das, ehrlich.«
»Ach? Du verstehst auch mal was? Das ist ja was ganz Neues.«
»Jetzt lass mich ausreden.«
Thea sah ihn trotzig an. Ihr Kinn zitterte.
»Du hast dich dein Leben lang danach gesehnt, deine Mutter kennen zu lernen. Stimmt’s?«
»Ich glaube nicht, dass ich jetzt mit dir darüber reden will.«
»Aber ich mit dir. Hör zu. Du hast innerhalb weniger Tagen deine Eltern gefunden. Dein Vater ist tot, und deine Mutter wäre es auch beinahe gewesen. Es ist völlig normal, dass du jetzt durchdrehst. Das würde jeder von uns, ich auch. Und deshalb brauchst du eine Auszeit.«
»Ich brauche gar nichts. Ich mache weiter!«
»Thea, niemand kann auf solch brutale Art mit seiner Herkunft konfrontiert werden und dann einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen!«
»Was weißt du schon?« Thea sah an ihm vorbei. Sie wäre am liebsten weggelaufen, doch Messmer stand wie ein Bär an die Tür gelehnt und rührte sich nicht vom Fleck.
»Seien wir ehrlich: Selbst wenn wir wollten, wir dürfen dich nicht weitermachen lassen. Wenn du mit ihr verwandt bist, dann bist du befangen, das muss dir doch klar sein.«
Thea schluckte. Natürlich war ihr das klar.
»Thea«, versuchte Messmer es erneut, »wenn herauskommt, dass du Franziska Linders Tochter bist und in dem Fall trotzdem weiterermittelst, kannst du deinen Dienstausweis zum Hinternputzen benutzen. Und Rudolf wird versetzt und kann als Dorfsheriff in Uhlbach oder sonst wo auf seine Pensionierung warten. Das willst du doch nicht, oder?« Messmer sah Thea eindringlich an.
Thea hatte aufgehört, sich zu wehren. Sie stand zusammengesunken da und betrachtete die Schreibtischunterlage, auf der in großen, grünen Lettern geschrieben stand: »Polizei – ein Beruf, so interessant wie das Leben«. Sie spürte, dass ihre mühsam aufrechterhaltene Beherrschung gleich zusammenbrechen würde. Aber diese Blöße wollte sie sich auf keinen Fall geben. Es fehlte noch, dass ich jetzt vor ihm losheule, dachte sie und drehte sich wieder zum Fenster. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, und sie hatte mal wieder keine Taschentücher eingesteckt. Also wischte sie sich das Gesicht mit den Handflächen ab, so wie sie es als Kind immer getan hatte.
Draußen brach die Hölle los. Die bedrohlich schwarzen Wolken berührten fast die Kronen der Pappeln vor dem Gebäude. Der Wind fegte darüber, als wolle er die Bäume samt Wurzeln aus dem Boden reißen. Ein Blitz spaltete den Himmel, und von einer Sekunde auf die andere prasselten taubeneigroße Hagelkörner herunter und bedeckten den moosbewachsenen Betonboden des Balkons vor Theas Büro. Das Donnergrollen war direkt über ihnen.
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie es war«, sagte sie tonlos.
Messmer setzte sich ihr gegenüber. »Überleg doch mal. Franziska Linder hatte gerade erfahren, dass ihr Kind, von dem sie glaubte, dass es unmittelbar nach der Geburt gestorben war, von ihrer Schwester ausgesetzt wurde, und dass Antonia sie in eine Anstalt abgeschoben hat, damit sie für Wolf Hauser frei sein konnte – für den Mann, der sie vergewaltigt und geschwängert hat. Unmittelbar darauf werden sowohl Hauser als auch Antonia Linder umgebracht. Sie muss es gewesen sein.«
»Nein, ich glaube es nicht.«
»Du sollest aber darüber nachdenken«, fuhr Messmer fort. »Franziska Linder wurde am Tag des zweiten Mordes vor dem Haus ihrer Schwester gesehen. Dann stellt sich heraus, dass die Fremd-DNA auch in diesem Mordfall weiblich ist.«
»Seit wann ist das bekannt?«
»Seit heute Morgen. Wir gehen davon aus, dass es dieselbe Person war wie bei Wolf Hauser. Wie viele Indizien brauchst du denn noch?«
Thea zog ihren Stuhl heran und setzte sich. Auf ihre Knie mochte sie sich jetzt nicht mehr verlassen.
»Als ich klein war, hatte ich eine Überlebensstrategie«, sagte sie. »Immer, wenn mir etwas Schreckliches passiert ist, hab ich versucht mir
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