Die Farbe des Himmels
Süßigkeiten stand frisch gefüllt auf dem Tisch, doch heute schienen alle zu zögern, zuzugreifen.
»Guten Morgen, Thea. Wir haben mit der Besprechung auf dich gewartet«, brach Joost das Schweigen, das schwer wie eine Gewitterwolke im Raum hing.
Thea setzte sich und betrachtete eingehend ihre Fingernägel. Seltsamerweise fühlte sie sich wie ein armer Sünder, dabei gab es dafür überhaupt keinen Grund.
»Wie geht es ihr?«, brachte sie schließlich hervor. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
»Sie kommt durch«, sagte Messmer und zwinkerte ihr zu. »Allerdings darf noch niemand zu ihr. Ich gehe morgen Nachmittag hin, um sie zu befragen.«
Thea hielt den Atem an. Er hatte ganz deutlich »ich« gesagt, nicht »wir«. Sie hatte es genau gehört. Bisher hatten sie doch immer im Team ermittelt. Sie spürte, wie ein schwerer Stein ihren Magen immer weiter nach unten zog.
»Micha hat uns von der Sache im Interconti erzählt«, sagte Joost. »Wirklich eine seltsame Geschichte. Man mag gar nicht mehr an Zufälle glauben. Ich möchte dir versichern, dass du unser Mitgefühl hast. Es muss ein schwerer Schock für dich sein, aus diesem Tagebuch zu erfahren, dass diese Frau wahrscheinlich deine Mutter ist … und vermutlich diese Morde begangen hat.«
Theas Kopf fuhr ruckartig nach oben. Sie starrte Messmer, der ihr gegenübersaß, sprachlos an. Doch er hielt ihrem Blick stand, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
»Wer sagt denn das?«, brachte sie schließlich hervor, und ihr Hals war rau und trocken dabei.
»Thea, du willst es bestimmt nicht wahrhaben, aber in dem Tagebuch steht eindeutig, dass Franziska Linder vorhatte abzuhauen, weil sie jeden Moment die Polizei erwartete. Wie wird sie wohl auf die Idee gekommen sein?« Messmer sprach leise und einfühlsam, doch gerade das brachte Thea noch mehr aus der Fassung.
»Sie hat kein Wort davon geschrieben, dass sie Hauser und ihre Schwester umgebracht hat!«, fauchte sie zurück. »Tut mir Leid, aber das habe ich nirgends gelesen, nicht mal zwischen den Zeilen.«
»Warum sollte sie das auch erwähnen? Das ist eine Tatsache, die sie ja weiß«, konterte Messmer. »Sicherlich wollte sie sich mit diesen traumatischen Vorfällen nicht noch einmal auseinander setzen. Das ist eine ganz normale Schutzhaltung. Man muss kein Psychologe sein, um das zu wissen.«
»Jetzt streitet euch nicht«, versuchte Joost die Wogen zu glätten. »Am besten, du gibst mir das Tagebuch einfach. Ich nehme an, du hast es mitgebracht.«
Unwillig zog Thea das Buch aus dem Rucksack und schob es Joost über den Tisch. Er blätterte es von hinten her durch und las schweigend.
Ströbele stand auf und sah Joost über die Schulter. Messmer spielte mit seinem Kugelschreiber und vermied es, Thea anzusehen. Harald Koch griff nun doch verlegen in die große Schüssel und nahm einen Mars-Riegel heraus. Kübler kritzelte auf seinem Block herum.
Schließlich klappte Joost das Buch zu. »Ich gebe es nur ungern zu, Thea, aber Micha hat Recht. Du musst bedenken, dass Franziska Linder einen Selbstmordversuch unternommen hat, und das sieht mir ganz nach einem Schuldbekenntnis aus. So tragisch das alles auch für dich ist, ich fürchte, wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.«
»Ich glaube nicht, dass sie es war. Nie und nimmer«, sagte Thea hartnäckig. »Das passt einfach nicht zu ihr.«
»Thea, du kennst sie doch gar nicht. Woher willst du wissen, was zu ihr passt und was nicht?« Messmer sprach nachsichtig zu ihr, wie zu einem Kind. Sie hätte ihn am liebsten geschlagen.
»Wie auch immer, wir haben eine Blutprobe, die sich beim Kriminaltechnischen Institut befindet. Geiger hat mir zugesichert, sie so bald wie möglich mit den Tatortspuren zu vergleichen«, erklärte Joost.
Thea wich seinem Blick aus und schaute in die Runde ihrer Kollegen. Keiner sagte ein Wort. Doch keiner schien daran zu zweifeln, dass der Vergleich der Hautschuppen an der Tatwaffe mit Franziska Linders DNA einen Treffer geben würde. Sie fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Jetzt sollte sie zu alledem auch noch wie auf Kohlen auf das Laborergebnis warten – das konnte sich ewig hinziehen.
Trotzdem sprang sie auf, als plötzlich das Telefon klingelte, und stürzte zum Apparat. Dabei stieß sie gegen die Tischkante, riss Kochs Tasse um, und der frisch gebrühte Kaffee ergoss sich siedend heiß über ihre Jeans.
»Tut mir Leid, tut mir ehrlich Leid«, stammelte sie und rieb sich das Bein. »Ich glaube,
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