Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
sämtliche Zimmerleute, Maurer und Steinmetze der ganzen Ostküste haben sich hier versammelt«, sagte sie zu Daniels, als die beiden an einer Ecke der Baustelle standen und die Menschenmengen betrachteten. Seit ihrer Ankunft am Tatort war etwa eine Stunde vergangen, und sie hatten vor, das Gelände abzugehen.
Mark nickte. »Kein Wunder, dass die Arbeitslosenquote so niedrig ist. Ich frag mich, wie es weitergeht, wenn wir vermeintlich im Frieden leben und keine Arschlöcher mehr unsere Gebäude in die Luft jagen.«
Ronnie musste lachen. Mark hatte seine eigene Ausdrucksweise. Aber er traf mehr oder weniger den Nagel auf den Kopf.
Wie das gesamte Land, so erlebte auch Washington gerade eine noch nie dagewesene ökonomische Blütezeit. Klar, es gab immer noch Probleme mit Banden und Drogen sowie mit Gewalt- und Raubdelikten. Alle Grausamkeiten der Menschen existierten weiter, wie seit Anbeginn der Welt. Insgesamt aber wirkten die Leute zufrieden. Den unteren Schichten ging es verdammt gut, und die Reichen liebten das Leben.
Mark schien ihre Gedanken zu lesen. »Ist schon erstaunlich, was passieren kann, wenn die USA allen anderen Staaten der Erde sagen, sie seien so überflüssig wie ein Kropf. Lawtons Slogan für seine Wiederwahl hätte genausogut heißen können: ›Du kannst mich mal, Welt.‹«
Er hatte recht. Unmittelbar nachdem der neue Präsident im Oktober 2017 seinen Amtseid abgelegt hatte, um seinen ermordeten Vorgänger zu ersetzen, hatte er dafür gesorgt, dass das Land sich ganz hinter seine eigenen Schutzwälle zurückzog. Diese Philosophie hatte dazu geführt, dass er bei den nächsten Wahlen mit großer Überlegenheit im Amt bestätigt worden war.
Nach den Anschlägen vom 11. September hatten die USA wie ein verwundeter Bär um sich geschlagen, um ihre Feinde zu treffen. Aber 2017 hatte es dann gereicht. Der Anschlag auf Washington hatte Gefühle bestätigt, die viele Leute hegten, seit der Terrorismus mit wöchentlichen Selbstmordanschlägen und Angriffen von Heckenschützen in Amerika zum Alltag geworden war. Es war Zeit, der Welt den Rücken zu kehren.
Durch das trauernde Land war ein Aufschrei gegangen, dass die Regierung ihre Aufmerksamkeit, die finanziellen Mittel und die militärische Macht auf den eigenen Staat konzentrieren solle. Dass sie in Zukunft Terroristen daran hindern solle, ins Land zu kommen und unter den Städten Züge in die Luft zu jagen, die Regierungsgebäude zu vernichten und Tausende von Unschuldigen abzuschlachten.
Und das war geschehen. Die USA hatten den anderen Staaten den Rücken gekehrt, sich fester zusammengeschlossen und Zäune errichtet.
Adieu, Europa, kümmere dich mal eine Weile um deine eigenen Probleme, uns kannst du nicht mehr die Schuld in die Schuhe schieben, denn wir sind nicht mehr da. Afrika? Tut uns furchtbar leid, aber du bist jetzt auf dich gestellt. Willst du etwas gelten, komme selten, und so. Nein, das sollte bloß ein Scherz sein, wir wissen ja, dass ihr diese Aids-Geschichte am Hals habt, viel Glück damit! Mittlerer Osten – Mensch, leben und leben lassen, Friede auf Erden, wir werden weiter euer Öl kaufen und uns im Übrigen raushalten, okay?
Israel? Ach, sorry, lieber Freund, war nett mit dir.
Wir werden Handel mit euch treiben, wir werden euch gelegentlich besuchen, aber wir lassen uns nicht mehr in eure Probleme reinziehen.
Und es hatte funktioniert, zumindest waren manche Leute dieser Meinung. Amerika blühte auf, und seit über zwei Jahren hatte es keine terroristischen Anschläge mehr gegeben. Allerdings war es genau diesen Leuten sowieso scheißegal, ob der Rest der Welt vor die Hunde ging, während man sich im Land der Freiheit, in der Heimat der Tapferen heraushielt und Däumchen drehte.
Amerika war zu einer zweiten Schweiz geworden. Wenn Ronnie daran dachte, wurde ihr kotzübel. Nein, das war heutzutage keineswegs die gängige Haltung, manche hätten sie vielleicht sogar als Verräterin bezeichnet. Aber wenn sie überlegte, welchen Preis ihre Familie am 20. Oktober bezahlt hatte – da sollte ihr nur jemand kommen und ihre Loyalität anzweifeln.
Obwohl es überall großspurig hieß: »Seht ihr, wir hatten recht«, sprach jedoch ironischerweise niemand davon, dass man zu den Sicherheitsstandards aus der Zeit vor dem 20. Oktober zurückkehren könnte. So dumm waren sie auch wieder nicht.
»Glaubst du, dass Zeilers Leute es hinkriegen, die alle zurückzuhalten?«, fragte Mark skeptisch. Einige bewaffnete Männer vom Secret
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