Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
könnte.«
Ronnie hatte Dr. Phineas Tate während ihres intensiven OEP -Trainings kennengelernt. Sie war überzeugt, dass es kaum etwas gab, was dieser geniale Erfinder nicht bedacht hatte. »Vielleicht doch, aber kann sein, dass er das Risiko eingehen wollte. Es war ja unwahrscheinlich, weil nur relativ wenige Leute im Land den Chip tragen. Wer nicht strenge Sicherheitsüberprüfungen hinter sich hat, soll ja nicht einmal von dem Programm wissen. Und jeder, der die Mikrokamera im Kopf hat, macht sich strafbar, wenn er darüber spricht.«
Mark Daniels sah sie weiter mit seinen grünen Augen an. Sein Blick war klar und konzentriert. Nachdenklich. »Dann denkst du also das Naheliegende?«
»Ja, klar.« Ronnie hatte schon den ganzen Vormittag darüber nachgedacht, und ihr drängte sich der gleiche Verdacht auf, den ihr Partner offenbar hegte.
»Der Mörder ist ein so hoher Geheimnisträger, dass er von dem Programm weiß«, sagte Mark.
Sie nickte und ging noch einen bitteren Schritt weiter. »Und er hat ihren Kopf mitgenommen, weil er wusste, dass Leanne Carr zu den Testpersonen gehörte.«
4
Als sie kurz darauf zum Haupteingang des Gebäudes zurückkehrten, gingen wenige Meter vor ihnen zwei Männer. Einen von ihnen erkannte Ronnie sofort, selbst von hinten. Dieses schimmernde, silberweiße Haar war unverwechselbar. Sie musste lächeln. Phineas Tate war ein anstrengender Lehrer gewesen, und er war ein faszinierender, allerdings auch sonderbarer Mensch.
»Da ist der Erfinder persönlich«, sagte sie leise zu Daniels.
Ihr Partner blinzelte in die Mittagssonne und musterte die Männer, die gerade das Gebäude betraten. »Das ist Tate? Der Mann, der dafür verantwortlich ist, dass wir alle zu wandelnden Strichcodes gemacht wurden? Der sieht ja gar nicht wie ein Doktor Frankenstein aus.«
»Der Jüngere ist sein Sohn. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, aber er war ein paar Mal in Zeitschriften abgebildet. Ich glaube, da gibt es irgendeine üble Geschichte.«
»Ich liebe üble Geschichten«, sagte Daniels und zuckte mit den Augenbrauen.
»Während unserer Ausbildung gab es Gerede, dass Dr. Tate senior die OEP -Technologie nicht freiwillig aus der Hand gegeben hat, sondern dass sein Sohn ihn unter Druck gesetzt hat.«
»Was für ein netter Mensch.«
»Wenn das ein Hit wird, könnte er finanziell ganz schön … profitieren. Der Vater wollte seine Erfindung ganz selbstlos verschenken. Angeblich hat er die Mikrokamera entwickelt, um Alzheimerpatienten zu helfen, ihre visuellen Wahrnehmungen zu speichern.«
»Würde ein Fotoalbum da nicht den gleichen Zweck erfüllen?« Mark verdrehte die Augen. »Und ohne so einen massiven Eingriff?«
»Du weißt genauso gut wie ich, dass wir nicht nur von Fotos reden.«
Nein, wenn es nur um Fotos gegangen wäre, hätte die Erfindung nicht annähernd diese Bedeutung gehabt. Aber Tate war es gelungen, einen Mikrochip zu entwickeln, mit dessen Hilfe das menschliche Auge zum Objektiv wurde. Daher wurden alle Abweichungen in Entfernung, Belichtung, Schärfe und Farbton – und selbst die Beeinflussung des Sehens durch Emotionen – auf den Bildern, die das Gerät machte, festgehalten.
Es war tatsächlich eine geniale Erfindung.
»Ja, ich weiß. Und ich bereue es nicht, dass ich mich als Testperson verpflichtet habe, einfach weil es Vorteile bei der Aufklärung von Verbrechen bietet. Aber für den Durchschnittsbürger erscheint mir der Eingriff doch zu groß. Für jemanden, der überhaupt kein Erinnerungsvermögen mehr hat, wären Digitalfotos vermutlich genauso wertvoll.«
»Theoretisch sollte die Mikrokamera im Sehnervkanal eines Tages drahtlos mit einem Apparat im Frontallappen verbunden werden, der es den Trägern ermöglicht, sich die Bilder im Geiste noch mal anzuschauen.«
»Ohne sie vom Chip runterzuladen?«
»Genau.«
Daniels pfiff durch die Zähne. »Davon hatte ich noch nicht gehört. Klingt ja echt nach Science-Fiction.«
»Tate ist ein Genie. Er hätte das hinkriegen können. Außerdem hätte vor zehn Jahren auch die Idee, eine Kamera ins Gehirn einzupflanzen, wie Science-Fiction geklungen. Filmstoff.«
»Ich frage mich, in wie vielen Köpfen er wohl rumgraben musste, bis es funktionierte.«
Ronnie runzelte die Stirn, äußerte ihre Gedanken dazu aber nicht. Es würde immer Todeskandidaten geben, die sich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellten, wenn sie im Gegenzug in ihren letzten Lebensmonaten Vergünstigungen erhielten und Geld für ihre Familien.
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