Die Farbe Des Zaubers
würde euch denn gefallen? Schmetterlinge?« Ein flinker Kreidestrich zauberte einen roten Flügel, ein anderer den schmalen Körper und helle Augen.
Ein Blitz am Fenster blendete ihn. Also Lalo wieder sehen konnte, wischte Artons Patschhand das Bild auf der Tafel ab.
»»Nicht! Böse helle Dinge draußen ...« Sein düsterer Blick bannte den Maler, und Lalo sah die eckigen feinen Formen der Dämonen, die sich von der Kraft des Sturmes nährten. »Mach, daß sie weggehen!«
Ich werde sie nicht zeichnen! dachte Lalo heftig. Sie sind ohnehin schon zu lebendig! Er nahm sanft die Hand des Kindes und besann sich, wie er seine eigenen Kinder getröstet hatte, wenn sie ihre Milch ausgeschüttet oder ein Lieblingsspielzeug zerbrochen hatten, weil sie ihre eigene Kraft nicht kannten.
Jetzt spürte er auch Gyskouras Blick auf sich, der ihm alles über die Mächte in dem Sturm sagte. Auch andere Bilder drängten sich ihm auf: Gefühle, noch ungeformtes Verlangen, Charaktereigenschaften, die dabei waren, zu einer Persönlichkeit zu verschmelzen, die das Potential zum Guten oder Bösen in den Kindern vor ihm einschloß. Er erkannte das Gefühl — er selbst empfand es, wenn er ein neues Bild in Angriff nahm, wenn sich Farben und Formen und Bilder in sein Bewußtsein drängten, und er sich um die Form und das Gleichgewicht bemühte, das sie zu einer abgewogenen Einheit zusammenfügen würde.
Doch wenn ihm das nicht gelungen war, war sein einziger Verlust eine unbrauchbare Leinwand gewesen. Gelang es dagegen den Kindern nicht, könnten sie Freistadt zerstören.
Über dem Palast klatschte der Donner in seine Riesenpranken, und ein von plötzlichem Windstoß gepeitschter Regen riß ein Fenster auf. Gyskouras wimmerte, und Lalo griff nach seiner Hand. Genau wie ich brauchen sie einen Magier, der sie ausbildet , dachte der Maler. Aber es muß doch etwas geben, was wir tun können! Er schloß die Augen, und nicht Furcht oder der Druck eines stärkeren Geistes, sondern Mitleid trieb ihn dazu, den Teil seines Ichs zu suchen, der ein Gott gewesen war.
Als er sie wieder öffnete, schlug das Fenster immer noch gegen die Wand. Draußen wirbelten Wolken in zahllosen Grautönen — Grau, nichts als Grau! Ihr Götter, er war diese farblose Welt so leid! Lalo blickte hinunter und sah, daß die Kreide zwischen seinen Fingern und Gyskouras Patschhändchen einen gelben Streifen auf der Tafel zurückgelassen hatte. 123
Einen Moment starrte er darauf, dann griff er nach orangefarbener Kreide und drückte sie in Artons kleinere Hand.
»Da«, flüsterte er. »Zeichne einen Strich neben den anderen — ja, genau so ...« Eine farbige Kreide nach der anderen gab er den Kindern und führte ihre tolpatschigen Händchen. Gelb, orange, rot und purpur, blau und türkis und grün hoben sich die Kreidestriche von dem dunklen Schiefer ab. Und als alle Farben verwendet waren, stand Lalo auf und hielt die Tafel vorsichtig in der Hand.
»Jetzt wollen wir etwas Hübsches machen — allein kann ich es nicht. Kommt beide her zu mir ...« Lalo streckte die Hand aus und zog zuerst Arton, dann Gyskouras aus den Armen ihrer Mütter. »Kommt zum Fenster, habt keine Angst...«
Lalo wurde bewußt, daß es hinter ihm im Gemach sehr still geworden war, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt den Kindern neben ihm und dem Sturm draußen. Sie erreichten das Fenster. Lalo kniete sich nieder, daß seine ergrauender rothaariger Kopf den dunklen und den blonden der Kinder berührte.
»Jetzt blast«, sagte er sanft. »Blast auf das Bild, dann lassen wir diese häßlichen Wolken alle verschwinden.«
Er spürte den Atem der Kinder warm auf seinen Fingern. Dann senkte er den Kopf und stieß seinen eigenen, angehaltenen Atem aus und sah Kreidestaub die feuchte Luft verschleiern. Sein Blick verschwamm, so sehr konzentrierte er sich — oder stimmte etwas mit seinen Augen nicht? Ganz sicher war nun mehr Farbe in der Luft, als sie hineingeblasen hatten, und die Farben schimmerten. Stille dröhnte in seinen Ohren.
Lalo sank auf seine Fersen zurück, drückte die beiden Sturmkinder an sich, und gemeinsam sahen sie zu, wie der Regenbogen eine Brücke über Freistatt bildete.
Originaltitel. The Color of Magic Copyright © 1985 by Diana L Paxson
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(5) Das Spiegelbild von Diana L. Paxson in Geschichten aus der Diebeswelt: Hexennacht , Bastei-Lübbe 20113
(6) Ein Hauch Macht von Diana L. Paxson in Geschichten aus der Diebeswelt: Sturm über Freistatt , Bastei-Lübbe 20122
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