Die Farben der Freundschaft
anhebend, mit graziösem Schwung hinauf. Sie legte das Maßband an, ich übernahm das andere Ende und zog es bis zur markierten Stelle.
»Praktisch! Wie bin ich nur zu einer so praktisch begabten Tochter gekommen?«, sagte sie leise lachend. Mit einer flinken Bewegung rollte sie das Maßband ein und stieg vom Stuhl. »Ja, der arme unglückliche Künstler starb, aber seine Kunst lebt ewig. Und das kann Liebe auch.« Sie ging vor mir her in den nächsten Raum. »Komm weiter, Ruby, Liebling, das wird eine ganz außergewöhnliche Ausstellung werden!«
Geistesabwesend folgte ich ihr, und auf einmal wusste ich, welche Seite der These ich vertreten würde und mit welchem Werk von Shakespeare ich meine vage Ansicht belegen wollte: Natürlich mit Romeo und Julia . Sollten Johann Duikster und ich uns jemals über den Weg laufen – wir stammten genau wie die beiden Figuren bei Shakespeare aus verfeindeten Lagern. Afrikaander und Engländer. Shakespeare wusste Bescheid.
9
ICH fand Shoppingtouren längst nicht so spannend wie viele andere Mädchen. Als Monica und ich noch beste Freundinnen waren, musste sie mich zu den Boutiquen nach Rosebank oder Hillbrow mehr oder weniger hinschleppen, wenn neue Klamotten gekauft werden sollten. Es war nicht so, dass mir die neueste Mode nicht gefallen hätte, die bestickten Tops aus indischer Baumwolle, die hohen Plateauschuhe und die Schlaghosen, aber ich fand, dass meine sportlich muskulösen Beine Hosen zu sehr ausfüllten und in einem Minirock dick und stämmig wirkten. Monica lachte darüber immer nur und behauptete, ich hätte eine sehr gute Figur. Aber sie konnte das auch leicht sagen, mit ihren blonden, nach außen gedrehten Farah-Fawcett-Haaren und den langen schlanken Beinen, die fantastisch in Hotpants aussahen, etwas, das ich nie wagen würde anzuziehen.
Gewöhnlich machten wir uns bei solchen Gelegenheiten einen schönen Tag. Am Samstagvormittag wurde gebummelt, danach aßen wir eine Kleinigkeit, und nachmittags gingen wir manchmal ins Kino. Wenn wir in Rosebank waren, einem Viertel am Stadtrand, aßen wir im Branded Steer, wo die Hamburger saftig und lecker waren und die Pommes in Ketchup schwammen und im Mund zergingen. Waren wir dagegen im angesagten Hillbrow, wo in kleinen Läden, deren Wände in psychedelisch leuchtenden Farben gestrichen waren, dunkle Punk-Klamotten neben stark riechenden afghanischen Wollmänteln hingen, aßen wir bei Cabbages and Kings, einem neuen vegetarischen Restaurant, das damals gerade populär wurde. Ich mochte gern Linsenpastete, und Monica aß die Tofu-Reis-Kreation, aber hinterher wollte sie jedes Mal im Café an der Ecke einen Crunchie-Riegel oder einen Peppermint Crisp zum Nachtisch.
»Sonst ist es ja zu gesund!«, sagte sie dann lachend, und dabei sprühten aus ihrem rosa geschminkten Mund Schokoladekrümel in alle Richtungen.
Ich vermisste sie. Ich vermisste es, eine beste Freundin zu haben, die immer gern Zeit mit mir verbrachte. Monica war wie Zuckerwatte, leicht und locker, ganz anders als ich mit meiner erdschweren Art. Wir waren ein sehr merkwürdiges Paar. Nie stellte Monica Fragen nach meinen Eltern oder warum sie nicht gern sahen, dass nach der Schule Freunde mit zu mir nach Hause kamen.
Sie war die Jüngste in ihrer Familie und hatte zwei ältere Brüder, von denen sie abgöttisch geliebt wurde und die ihr Bier verschafften, wann immer sie darum bat – und das war jedes Wochenende. Sie mischten es ihr mit Seven Up, nach Monicas Ansicht das Getränk für Frauen. Und Monica tanzte gern, sie genoss es, in ihren neonblauen Leggings zur Discomusik durch ihr großes Haus zu tanzen.
Jetzt hatte ich sie an Desmond verloren, ohne einen Streit, ohne eine Diskussion. Sie hatte sich einfach von mir abgewandt, nur weil er beschlossen hatte, sie als Freundin haben zu wollen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er von ihr verlangt hatte, sich entweder für die eine oder die andere Seite zu entscheiden. Für ihn oder für mich. Beste Freundin oder neuer Freund. Sie hat ihn gewählt. Das tat sehr weh.
Noch heftiger empfand ich den Schmerz, als ich zusammen mit Janice durch Hillbrow schlenderte und in dieselben Geschäfte ging, in denen ich früher mit Monica gewesen war. Wir stöberten durch die Kleiderständerbei Spiros, einer unserer Lieblingsboutiquen.
»Darin würdest du toll aussehen, Ruby!« Begeistert hielt mir Janice einen lindgrünen Jumpsuit hin, rückenfrei mit Nackenverschluss.
»Ziemlich auffällig.« Ich räusperte mich
Weitere Kostenlose Bücher