Die Farben der Freundschaft
gewonnen hatte. Insgeheim war ich überglücklich, dass Johann besser als Desmond gewesen war und dass er mit seinem starken Team unserem aufgeblasenen Gedrängehalbspieler einen Dämpfer verpasst hatte. Mit puterrotem Gesicht und einem gequälten Lächeln auf den Lippen hatte Desmond den Spielern der Steunmekaar-Mannschaft die Hand gegeben. Danach war er fluchtartig verschwunden – vielleicht wartete der Chauffeur seines Vaters mit dem Rolls Royce. Jedenfalls war Desmond nicht mehr zu sehen, als wir alle anschließend draußen herumstanden und darüber diskutierten, wie knapp das Spiel ausgegangen war und dass Steunmekaar an diesem Tag eben einfach Glück gehabt hatte.
Eigentlich sollte Vater mich um sechs Uhr abholen, aber da er sich verspätete, war ich eine der letzten Schülerinnen der Barnard-Highschool, die noch vor dem fremden Schultor standen. Allmählich wurde es dunkel. Ich wartete geduldig darauf, dass Vater mit seinem Citroën gleich auf den Parkplatz biegen und sich entschuldigen würde, weil eine Sitzung leider länger als erwartet gedauert hätte.
»Entschuldige …«
Erschrocken drehte ich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Sie gehörte einem Mädchen der Steunmekaar-Schule, das plötzlich neben mir stand. Im schwindenden Licht hatte ich gar nicht bemerkt, wie sie näher gekommen war.
»Entschuldige mein Englisch, mejevrou , ich meine Miss, aber ich habe nur ein C in Engels … ich meine in Englisch.«
»Ist schon okay.« Ich erwiderte ihr Lächeln.
Sie war groß und hatte einen blonden Kobold-Bubikopf, der einem Mädchen von geringerer Größe besser gestanden hätte, aber ihre Augen waren von einem warmen Braun und verliehen ihrem Gesicht einen freundlichen offenen Ausdruck.
» My naam ist Loretta.« Sie streckte mir eine schmale Hand entgegen. Ich nahm sie und hielt sie einen Augenblick in meiner.
»Ruby ist my naam. Aangename kennis. « Ich benutzte die formelle Wendung für »freut mich, dich kennenzulernen«, weil wir einander fremd waren und uns Mejevrou Brand das in der ersten Klasse so beigebracht hatte. Für die Begrüßung unter Freunden gab es eine zwanglosere Formel, aber die hatte ich vergessen.
»Aangename kennis, ook.« Sie stellte ihren Rucksack zwischen uns auf den Boden.
»Mein Vater ist zu spät dran«, sagte ich.
» Myne ook. Meiner auch, wollte ich sagen.«
»Und es ist schon fast dunkel«, ergänzte ich, während ich über den schwach erleuchteten Schulhof blickte und feststellte, dass wir inzwischen vollkommen allein waren.
»Macht nichts«, sagte Loretta, die anscheinend mein plötzliches Unbehagen spürte. » Moenie Angst haben nie .« Sie klopfte auf die Mauer hinter uns und schwang sich hinauf. » Kom sit. Ich lass dich nicht allein.«
Plötzlich spürte ich einen Kloß in der Kehle, als ich mich neben das fremde Mädchen auf die Mauer schwang. Monica hatte mich alleingelassen. All die Geburtstagskarten mit der Unterschrift »Für immer deine beste Freundin«. All die Wochenenden, an denen wir gemeinsam bei ihr oder bei mir übernachtet hatten, all die mitternächtlichen Kühlschrankplünderungen. Die Marathon-Übungsnachmittage vor Mathetests und die samstäglichen Shoppingtouren. Konnte da so einfach ein Junge aufkreuzen und all das beiseitefegen?
»Du denkst viel nach?« Loretta berührte ihre Schläfe. »Viele Gedanken, ja?«
»Tut mir leid«, stotterte ich. Die Luft war kälter geworden, und ich fröstelte unter meiner jetzt doch unzureichenden Kleiderschicht.
» ’n Jas ? Willst du eine Jacke haben?«, fragte Loretta.
»Bitte.«
Sie sprang von der Mauer, zog den Reißverschluss ihres Rucksacks auf und kramte einen ordentlich gefalteten schwarzen Schulblazer heraus, auf dessen rechter Brusttasche in Rot das Steunmekaar-Emblem prangte. Sie reichte mir den Blazer herauf, ich nahm ihn und schlüpfte dankbar hinein.
Dann saßen wir nebeneinander in der Dunkelheit, zwei Schulmädchen, die darauf warteten, abgeholt zu werden. Mir kam unwillkürlich der Gedanke, dass jeder, der in der kühlen Abendluft hier vorbeikäme, uns für zwei Afrikaanderinnen halten müsste, zwei Teenager, die auf dieselbe Schule gingen und zu Hause dieselbe Sprache sprachen. Plötzlich erschien es mir unglaublich, dass ich allein durch das Anziehen einer fremden Schulfarbe eine andere geworden war. Eine Art Chamäleon. In der neuen Haut, in der ich jetzt steckte, musste man mich anders sehen – ich war jetzt ein Steunmekaar-Mädchen in einer Uniform,
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