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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linzi Glass
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Vater schwang die Beine vom Tisch und beugte sich in seinem Sessel vor. »Deine Kunst, Julian, deine Kunst drückt doch die ganze trostlose Realität deines Volkes aus! Sie schreit geradezu nach Veränderung. Ich verstehe nicht, wie du …«
    »Ja, meine Kunst ist ein Appell, ein Schrei an mein Volk. Ein Spiegel, mit dem sich meine Leute ihr Leben vor Augen halten können und vielleicht das hässliche Gesicht der Wahrheit darin sehen. Vielleicht werden sie dann sagen: › Hai wena! So viele Sprünge hat unser Spiegel! So hoffnungslos ist unser Leben! Wir müssen zusammenhalten und kämpfen wie ein Mann.‹« Julian stand auf und ging im Zimmer auf und ab. »Doch statt hinzusehen, schlagen sie nach der Hand, die ihnen die Wahrheit zeigt. Nein, Sir. Erst wenn wir fähig sind, Bruder mit Bruder zu vereinen, wenn wir den brennenden Neid löschen können, der zerstört, sobald einer von uns sich aus Schmutz und Elend erhebt …«, Julian strich mit der Hand langsam über die gezackte Narbe, die sich über seinen ganzen Unterarm zog, »… erst dann, Sir, werden wir bereit sein für Veränderung.« Julians Stimme schwankte beim Sprechen.
    Ich blickte von ihm zu Vater und erwartete eine seiner schlagfertigen Antworten. Etwas, das Hand und Fuß hätte, etwas Bedeutungsvolles. Aber er saß nur schweigend da und blickte Julian in die dunklen Augen, in denen sich Wut und Verzweiflung spiegelten.
    »Es tut mir so unendlich leid« war alles, was er sagte.
    »Mir auch, Sir.«
     
    Dieses Gespräch hing wie ein pendelnder Kronleuchter im Chaos meiner Gedanken, die sich um die Aufregungen des herannahenden Schulballs und um meine Rolle als Komplizin bei Mutters neuestem Projekt drehten. Sie plante eine große Ausstellung in ihrer Galerie, bei der sie ihrem Kundenkreis aus einflussreichen vermögenden Kunstliebhabern Julian vorstellen und zum ersten Mal seine Arbeiten zeigen wollte. Allerdings hatte sie ihm noch nichts davon gesagt, aus Furcht, die gute Nachricht könnte sich negativ auf seine Kreativität auswirken. In der Vergangenheit war es schon mehreren Künstlern so ergangen, schwarzen wie weißen. Ihre Arbeit litt, sobald Mutter ein Datum für eine Ausstellung festgesetzt hatte. »Öffentlichkeitsfieber« nannte sie das. Es würde schon noch der geeignete Augenblick kommen, um Julian einzuweihen.
    »Es beeinträchtigt nur seine Fantasie und seine Konzentration, wenn er beim Malen ein Publikum vor Augen hat«, erklärte sie, während wir langsam durch die Galerieräume wanderten und besprachen, welches Bild an welcher Wand hängen sollte. Ich konnte meine Aufmerksamkeit nur schwer auf dieses Problem lenken. Fünfundzwanzig Kunstwerke mussten platziert werden, aber ich war in Gedanken mehr bei dem Rugbyspiel und bei unserem Schulball.
    Seit dem Spiel der Steunmekaar-Schule gegen die Barnard High waren nun zwei Wochen vergangen. Dennoch blitzten in meinem Kopf ganz unerwartet immer wieder Bilder von Johann auf – ein Junge, den ich nicht kannte und den ich wahrscheinlich nie wieder sehen würde – und jedes Mal durchlief mich ein Kribbeln von den Zehen bis in die Haarspitzen.
    »Ist Liebe von Natur aus tragisch, Mutter?«, fragte ich, während sie mit ihren anmutigen Bewegungen eine bestimmte Stelle einer Galeriewand ausmaß.
    »›Ist Liebe von Natur aus tragisch?‹ Ist das der Titel einer von Julians Arbeiten? Oder ist es eine Frage an mich?« Sie schenkte mir ihr typisches kleines Lächeln.
    »Es ist das Thema einer Arbeit in Englischer Literatur, die wir bis nächste Woche schreiben müssen. Wir sollen die Aussage anhand von Shakespeares Werken beweisen oder widerlegen.« Ich hielt das andere Ende des Maßbandes und sah sie fragend an.
    »Ah, ich verstehe … eine theoretische Frage … siebenundfünfzig mal dreißig Zentimeter. Schreib auf, Ruby.« Sie strich mit der Hand über die Kette aus bunten Ndebele-Perlen, die sich um ihren hellen schlanken Hals schmiegte. »Liebe ist nicht entweder nur Leid oder nur Freude. Sie entwickelt sich mit dem, was wir selbst dazutun. Manchmal ist das Resultat ein abstrakter Picasso und manchmal eher eine Sternennacht von van Gogh – lauter ineinander verschwimmende Gold- und Blautöne, die uns durch ihre Kraft und Erhabenheit für ewig Halt geben.«
    »Van Gogh hat sich selbst verstümmelt, Mutter, und er ist verarmt und elendig gestorben«, sagte ich und schrieb die Maße auf einen Zettel.
    Mutter zog einen ovalen Stuhl dicht an die Wand und stieg, den Saum ihres rot seidenen Rockes

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