Die Farben der Freundschaft
Totsiens und gute Besserung.« Sie legte schnell auf, aber ich drückte das Telefon noch lange nach dem Gespräch an meine schwer atmende Brust.
»Danke«, flüsterte ich in die kleinen schwarzen Löcher in der Hörermuschel, durch die das kostbare, von mir so ersehnte Wort gekommen war.
»Freundin.«
21
AM nächsten Morgen wachte ich mit so fürchterlichen, rasiermesserscharf schneidenden Halsschmerzen auf, dass es mir völlig unmöglich war, an diesem Tag zur Schule zu gehen. Sprechen konnte ich gar nicht, und mit meinen faustgroßen Mandeln fiel es mir sogar schwer, schmerzlindernden Zitronentee mit Honig zu schlucken. Nicht reden zu können hatte etwas angenehm Beruhigendes. Ich konnte für diese kurze stimmlose Zeit ganz ungestört in meinen Gedanken leben. Das erlaubte mir den Luxus, in Winkel und Nischen zu reisen, die ich seit Langem übersehen hatte, ich konnte innehalten und einen vergessenen Gedanken oder eine Erinnerung ausgraben. Ich stieß auf verschiedene Augenblicke meines Lebens, befreite einige von Staub und hielt sie bewundernd in der ausgestreckten Hand, andere entfaltete ich nur, um sie schnell wieder einzurollen. Ich verlor mich in der Zeit und schaffte es sogar, das schmerzhafte Brennen im Hals kaum mehr zu spüren. Ich trieb durch zahllose Momente und Erinnerungen, blieb eine Weile bei ihnen, wenn sie mir sanft und freundlich erschienen, und wich schnell zurück, wenn sie mir grob und schneidend vorkamen. Eine Erinnerung aber gab es, die war unangenehm und grell, und trotzdem blieb ich bei ihr am längsten hängen.
Ich stehe auf der einzigen Geschäftsstraße in Parkview. Ich bin zehn. Ich warte auf meine Mutter, die gerade dabei ist, ihren Wagen zu parken. Wir sind hergekommen, um neue Partyschuhe für mich zu kaufen. Viele Mädchen aus meiner Klasse feiern in nächster Zeit ihre Geburtstage. Ich stehe neben dem Eingang des Schuhgeschäfts, als ein kleines Mädchen mit einem noch viel kleineren Jungen vorbeikommt. Er ist schwarz. Sie halten sich an den Händen. Die Sonne des späten Nachmittags scheint auf ihr gewelltes blondes Haar und seinen dichten dunklen Krauskopf. Plötzlich geht eine große Frau auf die beiden Kinder zu. Sie sieht auf ihre Hände und droht ihnen mit erhobenem Finger. Nicht erlaubt! Der kleine Junge und das Mädchen bleiben erschrocken stehen. Da greift die große Frau nach den pummeligen Händen der beiden und trennt sie, sodass die Finger des kleinen schwarzen Jungen nicht mehr die des weißen Mädchens berühren. Ich sehe an den Reaktionen ihrer dünnen kleinen Körper, dass sie Angst haben. Das kleine Mädchen zieht den Kopf ein. Der Junge dreht sich unschlüssig nach allen Seiten, in seinem kleinen dunklen Gesicht steht Ratlosigkeit. Was habe ich falsch gemacht? Warum ist die große Dame böse? Die Frau, zufrieden, dass sie erreicht hat, was sie für dringend nötig hielt, geht weiter. Sie betritt denselben Schuhladen, in dem meine Mutter und ich auch gleich stehen werden. Als sie an mir vorbeigeht, rieche ich ihr durchdringendes, nach Moschus duftendes Parfüm. Ich sehe dem kleinen Jungen und dem Mädchen nach, sie laufen weiter, aber an den Händen halten sie sich nicht mehr. Vielleicht werden sie es nie wieder tun. Als kurz darauf meine Mutter kommt, sage ich, mir sei übel und ich wolle heute keine Schuhe kaufen. Was hast du, Liebling?, fragt sie. Ich bin traurig, sage ich. Mir ist übel vor Traurigkeit.
Es klopft leise an der Tür, aber in dem Moment spüre ich einen Sommerwind über meine Haut streichen.
Ich trete in die Pedale und radle schnell über eine von saftigem Grün begrenzte Landstraße in Stellenbosch. Neben mir fährt Mutter auf einem himmelblauen Rad, und ich sehe, dass Vaters Beine immer schneller treten – er will Erster sein. Weingärten und gepflegte kapholländische Häuser fliegen an uns vorüber. Ich bin acht, die Sonne scheint, es ist ein perfekter Sommertag. Wir verleben einen wunderschönen zweiwöchigen Urlaub am Kap. Alles duftet nach Jasmin und den Sommerblumen, die wild an den Straßenrändern wachsen. Fang mich, wenn du kannst, Mommy! Ich stelle mich auf die Pedale und radle meinem Vater nach. Warte, gleich hab ich dich!, höre ich ihre ausgelassene Stimme hinter mir …
Mutter war das an der Tür. Auf einem Tablett hat sie mir eine Tasse mit etwas dampfend Heißem gebracht.
»Trink das, Liebling. Ich habe eben mit Dr. Jacobs telefoniert, er schickt ein Antibiotikum mit dem Fahrer. Später will er
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