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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linzi Glass
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alle an diesem Tag, an dem unsere Welt so gefährlich auf den Kopf gestellt worden war?
    Ich rief Loretta an. Sie klang irgendwie fremd und unnahbar. Als ich sie fragte, was los sei, flüsterte sie ins Telefon, ihr Pa sei wegen der Unruhen früher nach Hause gekommen und verhöre gerade die Bediensteten. Hastig legte sie auf, und ich konnte nicht einmal mehr fragen, wann Johann nach Hause käme.
     
    Ein lauter dumpfer Schlag gegen mein Fenster ließ mich erschrocken auffahren. Ich ging hin und öffnete es. Der Duft nach Lavendel und frischer Minze wehte zu mir herauf. Ich blinzelte in die Dunkelheit. Dort unten stand die vertraute Gestalt, der Mensch, nach dem ich mich so gesehnt hatte.
    »Julian!«
    »Schscht!«, machte er leise. »Komm schnell. Sag nichts.«
    Eilig zog ich Schuhe und Mantel an und hastete die Treppe hinunter, mein Herz pochte wild, als ich an der immer noch geschlossenen Tür von Vaters Arbeitszimmer vorbeischlich. Endlich stand ich im Garten unter meinem Zimmerfenster, aber Julian war nicht mehr da. Ich sah mich verstohlen um und meine Hoffnung verflog, aber dann hörte ich ein Rascheln in den Büschen.
    »Hier!«, kam Julians Stimme hinter dem Gebüsch hervor. Im Halbdunkel ging ich vorsichtig auf die Stimme zu.
    »Gib mir deine Hand, Ruby«, sagte er gedämpft.
    Ich streckte einen Arm vor mich in die Luft, dann spürte ich seine Finger warm und weich um meine Hand. Er zog mich zu sich heran und drückte mich an seine Brust. An seinem Mantel hing der Brandgeruch der Flammen von Soweto.
    »Ich war dabei, Ruby, es ist schlimm. Kinder sind getötet worden – hast du das gewusst?«
    »Über Opfer sagen sie in den Nachrichten nicht viel.«
    »Ich stand mitten unter den Verletzten und Toten, und weißt du, an wen ich gedacht habe?«
    »Nein«, flüsterte ich.
    »An dich.« Er umarmte mich so fest, als wollte er meine Seele einatmen, dann ließ er mich behutsam los.
    »Ich bin zurückgekommen, weil ich noch einmal deinen wunderbaren Mut und deine Freundlichkeit spüren will, Ruby. Damit ich sie in meinem Innern aufbewahren und Kraft daraus schöpfen kann, wenn du nicht mehr in meiner Nähe bist – denn wahrscheinlich werden wir uns nicht wiedersehen.«
    »Geh nicht!«, flehte ich ihn an und griff nach seinem Mantelkragen.
    »Ich muss. Es war nicht leicht, rein- und rauszukommen, aber ich habe Freunde. Die Polizei hat Soweto abgeriegelt. Morgen werden sie uns von den Lebensmittellieferungen abschneiden.«
    »Julian, der Geheimdienst … sie verhaften alle bekannten ANC-Mitglieder!«
    »Ja, ich weiß. Sag deiner Mutter, dass mich der ANC nach Mosambik schickt. Zur Ausbildung für die Arbeit im Untergrund.« Julian legte die Hände auf meine zitternden Schultern. »Und deinem Vater sag, dass ich mich geirrt habe. Mein Volk ist doch bereit für den Wandel.«
    Mit einer raschen Bewegung hob er mein Kinn, sodass ich ihm ins Gesicht sehen musste. »Denk daran, dass ich immer bei dir sein werde, ganz egal, wo du bist.«
    »Julian, bitte!« Ich hielt mich an seinem Mantel fest, aber er löste sanft meine eiskalten Finger und hob sie an seine Lippen.
    »Leb wohl, Ruby.«
    Ehe ich noch einmal protestieren konnte, wandte er sich hastig ab. Die Augen voller Tränen und eingehüllt in eine Wolke aus Minze- und Lavendelduft, schaute ich ihm nach, aber die Dunkelheit hatte ihn nur allzu schnell verschluckt.

26
    DIE Schule am nächsten Tag war mir unerträglich. Gestern war unsere heile Welt von den Unruhen in Soweto immerhin kurz gestreift worden, als Direktor Dandridge uns aufforderte, das Schulgelände nur mit einem Freund oder einer Freundin zu verlassen. Heute jedoch war alles wie immer an der Barnard- Highschool, es fiel kein Wort über die Schüsse oder die massiven Proteste in unserer Stadt.
    Wie erwartet folgten die Jugendlichen anderer Townships dem Beispiel der Schüler aus Soweto, und es kam zu schweren Ausschreitungen mit Toten und Verletzten in den Townships Alexandra, Daveytown und anderen. Die englischsprachigen liberalen weißen Studenten der Universität Witwatersrand demonstrierten im Zentrum von Johannesburg, um ihre Sympathie zu bekunden. Soweto brannte. Und während andere Schüler ihr Leben ließen, lernten wir weiter.
     
    »Hey, Ruby.« Im Erdkundeunterricht bei Miss Radcliffe spürte ich Desmonds widerliche Finger auf meinem Haar. Er hatte den Platz neben Monica verlassen und war, sehr zu meinem Graus, auf seinen ehemaligen Platz hinter mir zurückgekehrt. Ich versuchte, ihn zu ignorieren

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