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Die Farben der Magie

Die Farben der Magie

Titel: Die Farben der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Borkenzunge hatte ihn bis zum Astansatz getragen. Leider befanden sich keine anderen Zweige in erreichbarer Nähe, und der glatte Stamm bot nicht genug Halt.
    Dafür bot er Hände. Zwei schoben sich gerade durch die moosbewachsene Rinde vor ihm – schmale Hände, so grün wie junge Blätter –, gefolgt von einem schlanken Arm. Dann beugte sich die Baumnymphe vor und packte den verblüfften Zauberer. Mit jener pflanzlichen Kraft, die Wurzeln in Felsen treibt, zog sie ihn in den Stamm. Die massive Borke teilte sich wie Nebel, klappte hinter ihm wie eine Venusmuschel zu.
    Tod nahm das Geschehen gleichmütig zur Kenntnis.
    Eine Zeitlang beobachtete er mehrere Eintagsfliegen, die dicht vor ihm in einem fröhlichen Zickzack flogen. Als er mit den Fingern schnippte, fielen sie zu Boden. Doch aus irgendeinem Grund befriedigte es ihn nicht.

    D er Blinde Io schob einen Stapel Chips über den Tisch, starrte finster aus den Augen, die sich derzeit im Zimmer befanden, stand auf und ging. Einige Halbgötter kicherten. Offler war kein so schlechter Verlierer: Er hatte den Verlust eines guten Trolls mit unerschütterlicher, wenn auch reptilischer Gelassenheit hingenommen.
    Der letzte Gegner der Lady rückte seinen Stuhl zurecht, bis er genau auf der anderen Seite des Spielbretts saß.
    »Lord«, sagte sie höflich.
»Lady«, erwiderte er. Ihre Blicke trafen sich.
Er war ein recht schweigsamer Gott, und es hieß, daß er die Scheibenwelt nach einem ebenso schrecklichen wie mysteriösen Zwischenfall in einer anderen Eventualität erreicht hatte. Eins der Privilegien von Göttern besteht natürlich darin, ihr Erscheinungsbild zu bestimmen, selbst anderen Göttern gegenüber. Derzeit sah Verhängnis wie ein freundlicher Mann in mittleren Jahren aus; unter dem sorgfältig zurückgekämmten grauen Haar zeigten sich Gesichtszüge, denen eine Jungfrau ohne Zögern ein Glas Bier angeboten hätte, wenn sie an ihrer Hintertür erschienen wären. Niemand würde zögern, einem solchen Gesicht über einen Zauntritt zu helfen.
    Doch die Augen…
    Keine Gottheit kann über Art und Natur ihrer Augen hinwegtäuschen. Die Augen des Verhängnisses der Scheibenwelt lassen sich folgendermaßen beschreiben: Auf den ersten Blick betrachtet waren sie nur dunkel, doch wenn man genauer hinsah, erkannte man – zu spät! –, daß es sich um Tore in finsterste Finsternis handelte, in eine so tiefe Dunkelheit, daß der Beobachter spürte, von den beiden Ozeanen ewiger Nacht und den darin wirbelnden Sternen angesaugt zu werden…
    Die Lady hüstelte diskret und legte einundzwanzig weiße Chips auf den Tisch. Dann griff sie in eine Tasche ihres Umhangs und holte eine weitere Spielmarke hervor – sie glänzte silbergrau und war doppelt so groß wie die anderen. Die Seele eines wahren Helden hatte immer einen höheren Wert und wurde von den Göttern sehr geschätzt.
    Verhängnis hob eine Braue.
»Diesmal solltest du besser nicht mogeln, Lady«, sagte er.
    »Wer könnte das Verhängnis betrügen?« fragte sie. Der so freundlich wirkende Mann hob die Schultern.
»Niemand. Aber alle versuchen es.«
    »Seltsam. Ich habe das Gefühl, daß du mir gegen die anderen geholfen hast.«
    »Ja, um dafür zu sorgen, daß die Schlußphase des Spiels interessanter wird, Lady. Und nun…«
    Er öffnete seine Schachtel, entnahm ihr eine Spielfigur und setzte sie zufrieden aufs Brett. Die anwesenden Götter seufzten wie aus einem Mund, und selbst die Lady wirkte einige Sekunden lang überrascht.
    Die Figur war überaus häßlich. Es zeigten sich kaum Einzelheiten – die Hände des Künstlers, der sie hergestellt hatte, schienen entsetzt gezittert zu haben, als sie langsam Gestalt annahm. Sie bestand nur aus Tentakeln und Saugnäpfen. Und aus Schnäbeln und Beißkiefern, beobachtete die Lady. Hinzu kam ein großes Auge.
    »Ich dachte, Er sei gestorben, als die Zeit geboren wurde.«
    »Vielleicht fand unser nekrotischer Freund Ihn zu abscheulich, um sich um ihn zu kümmern.« Verhängnis lachte leise und schien sich prächtig zu amüsieren.
»Ein solches Wesen hätte nie Teil der Schöpfung werden dürfen.«
    »Aber es existiert«, erwiderte Verhängnis gnomisch. Er legte die Würfel in ihren ungewöhnlichen Behälter und sah dann zur Lady.
»Wenn du aufgeben möchtest…«, murmelte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du bist dran«, sagte sie.
»Kannst du meinen Einsatz halten?«
    »Du bist dran.«

    R incewind wußte, was sich im Innern von Bäumen befand: Holz, Saft, vielleicht

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