Die Farben der Magie
auch Eichhörnchen. Aber kein Palast.
Dennoch: Die Kissen unter ihm waren eindeutig weicher als Holz; der Wein im hölzernen Becher schmeckte besser als Saft; und Vergleiche zwischen einem Eichhörnchen und der jungen Frau, die vor dem Zauberer saß und ihn nachdenklich ansah, erschienen unangemessen, solange man dabei nicht das Haar berücksichtigte.
Rincewind hockte in einem hohen breiten Zimmer, und das matte gelbe Licht darin hatte keinen erkennbaren Ursprung. Knorrige Torbögen gestatteten den Blick in andere Räume und auf etwas Langes, Wendeltreppenartiges. Der Zauberer fand das erstaunlich: Von außen betrachtet hatte der Baum einen völlig normalen Eindruck erweckt.
Die junge Frau war grün – fleischgrün. In dieser Hinsicht konnte Rincewind absolut sicher sein, denn sie trug nur ein Medaillon am Hals. Das lange Haar erinnerte ihn entfernt an Moos. In den Augen fehlten Pupillen, und sie glänzten in einem satten Grün. Der Zauberer bedauerte nun, beim anthropologischen Unterricht in der Unsichtbaren Universität nicht besser aufgepaßt zu haben.
Die Fremde gab keinen Ton von sich. Sie hatte nur auf das Sofa gedeutet und ihm Wein gebracht. Seitdem saß sie stumm da, beobachtete ihn und tastete gelegentlich mit den Fingerkuppen über einen langen Kratzer am Arm.
Rincewind dachte plötzlich daran, daß Hamadryaden so sehr mit ihren Bäumen verbunden waren, daß sie ihre Wunden teilten.
»Entschuldige bitte«, sagte er hastig, »es war ein Unfall. Ich meine, unten warteten hungrige Wölfe auf mich, und…«
»Du hast meinen Baum erklettert, und ich habe dich gerettet«, warf die Baumnymphe ein. »Welch ein Glück für dich. Und vielleicht auch für deinen Freund?«
»Freund?«
»Der kleine Mann mit der magischen Truhe«, erklärte die Dryade. »Oh, ihn meinst du.« Rincewind nickte. »Ja. Ich hoffe, es geht ihm gut.«
»Er braucht deine Hilfe.«
»Das ist häufig der Fall. Hat er es ebenfalls auf einen Baum geschafft?«
»Er hat den Tempel von Bel-Shamharoth erreicht.«
Rincewind verschluckt sich an dem Wein, und die Ohren versuchten ihm in den Kopf zu kriechen, entsetzt über die Silben, die sie gerade vernommen hatten. Der Seelenfresser! Ungebetene Erinnerungen galoppierten aus dem Gedächtnis des Zauberers und drängten sich in sein Bewußtsein. Während er an der Unsichtbaren Universität praktische Magie studierte, hatte er sich auf eine fatale Wette eingelassen. Er beobachtete sich nun selbst, wie er in ein kleines Zimmer abseits der Hauptbibliothek schlich, in einen Raum, an dessen Wänden Schutzpentagramme aus Blei hingen, eine Kammer, in der man sich nur vier Minuten und zweiunddreißig Sekunden lang aufhalten durfte, wenn man bei Verstand bleiben wollte – jene Zeitspanne hatte man im Verlauf von zweihundert Jahren mit zahlreichen vorsichtigen Experimenten ermittelt.
Der Rincewind seiner eigenen Erinnerung öffnete das Buch, das an einen Sockel aus Oktiron gekettet war, der mitten auf dem mit Runen übersäten Boden stand. Damit sollte nicht etwa einem Diebstahl vorgebeugt werden; es ging vielmehr darum, das Buch an der Flucht zu hindern. Es trug den Namen Oktav und war so voller Magie, daß es ein eigenes Bewußtsein entwickelt hatte. Ein Zauberspruch sprang von den knisternden Seiten und grub sich in die dunklen Tiefen von Rincewinds Gehirn. Später ließ sich nur feststellen, daß es sich um eine der Acht Großen Magischen Formeln handelte – über ihre Wirkung gewann man erst Aufschluß, wenn sie ausgesprochen wurde. Rincewind hütete sich davor, aber manchmal fühlte er den Zauberspruch und spürte, wie er sich hinter seinem Ego versteckte und auf eine günstige Gelegenheit wartete…
Ganz deutlich entsann sich der Zauberer an die Darstellung BelShamharoths auf dem Umschlag des Oktavs. Er war nicht das Unheil an sich, denn selbst das Unheil hat eine gewisse Vitalität. Man konnte BelShamharoth am besten mit der Rückseite einer Münze vergleichen, deren Vorderseite Gutes und Böses miteinander vereint.
»Der Seelenfresser – seine Zahl isset zweimal vier, lieget zwischen sieben und neun«, zitierte Rincewind und erstarrte innerlich vor Furcht. »O nein. Wo befindet sich der Tempel?«
»Mittwärts, zur Waldmitte hin«, antwortete die Baumnymphe. »Er ist sehr alt.«
»Wer kann so dumm sein, ausgerechnet Bel… ihn zu verehren? Ich meine, Teufel ja, aber den Seelenfresser…«
»Dadurch ergaben sich – gewisse Vorteile. Und jenes Volk, das einst in dieser Gegend lebte, hatte
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