Die Farben der Magie
steckten.
»Laß los, verdammt!« rief er. »Sonst sterben wir beide!«
Rincewind überhörte ihn, klammerte sich weiterhin fest und versuchte, nicht daran zu denken, welches Schicksal ihn tief unten erwartete.
»Erschießt ihn!« brüllte Lio!rt.
Aus den Augenwinkeln sah Rincewind mehrere Armbrüste, die auf ihn zielten. Gleichzeitig schlug der Drachenlord mit seiner freien Hand zu – mehrere scharfkantige Ringe trafen die Finger des Zauberers.
Er ließ los.
Z weiblum griff nach den Gitterstäben und zog sich hoch.
»Siehst du was?« erklang Hruns Stimme weiter unten.
»Nur Wolken.«
Der Barbar ließ ihn herab und nahm auf der Kante eines hölzernen Bettes Platz. Abgesehen von den beiden Liegen enthielt die Kammer keine weiteren Einrichtungsgegenstände. »Verdammter Mist«, sagte er.
»Gib dich nicht der Verzweiflung hin«, erwiderte Zweiblum.
»Verzweiflung? Was ist das?«
»Bestimmt handelt es sich um ein Mißverständnis. Ich nehme an, man läßt uns bald frei. Die Leute hier scheinen recht zivilisiert zu sein.«
Hrun wölbte buschige Augenbrauen und musterte den Touristen. Er setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich dann anders und seufzte.
»Und wenn wir zurückkehren, können wir allen erzählen, daß wir Drachen gesehen haben«, fuhr Zweiblum fort. »Toll, nicht wahr?«
»Es gibt keine Drachen«, sagte Hrun schlicht. »Kodix von Chimära hat den letzten vor zweihundert Jahren erschlagen. Ich weiß nicht, was wir hier sehen, aber es sind keine Drachen.«
»Sie haben uns durch die Luft getragen! Die Höhle enthält Hunderte von ihnen…«
»Vermutlich nichts weiter als Magie«, brummte Hrun und winkte ab.
»Nun, sie sahen jedenfalls wie Drachen aus«, murmelte Zweiblum mit einer Mischung aus Enttäuschung und Trotz. »Schon als kleiner Junge habe ich mir gewünscht, Drachen zu sehen. Sie fliegen am Himmel, speien Feuer…«
»Sie krochen durch Sümpfe und so«, entgegnete Hrun. Er streckte sich auf dem Bett aus. »Und sie stanken. Außerdem waren sie nicht besonders groß. Sammelten dauernd Feuerholz.«
»Ich habe gehört, daß sie Schätze sammelten«, warf Zweiblum ein.
»Und Feuerholz. He«, fügte Hrun hinzu, und seine Miene erhellte sich, »hast du die vielen Zimmer bemerkt, durch die man uns geführt hat? Ziemlich eindrucksvoll, oder? Mit interessanten Dingen gefüllt. Mir sind ein paar kostbare Wandteppiche aufgefallen.« Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. Es klang nach einem Stachelschwein, daß durch Stechginsterbüsche kriecht.
»Was passiert jetzt?« fragte Zweiblum.
Hrun bohrte sich im Ohr und betrachtete anschließend den Zeigefinger.
»Oh«, meinte er, »ich schätze, gleich öffnet sich die Tür, und dann bringt man mich in eine Arena, wo ich gegen zwei Riesenspinnen und einen acht Fuß großen Sklaven aus Klatsch kämpfen muß. Anschließend rette ich irgendeine Prinzessin vom Opferaltar und töte den einen oder anderen Wächter, woraufhin mir die junge Frau einen nach draußen führenden Geheimgang zeigt. Wir schnappen uns zwei Pferde und entkommen mit dem Schatz.« Hrun faltete die Hände unterm Kopf, sah zur Decke hoch und summte leise vor sich hin.
»Glaubst du wirklich, daß soviel geschehen wird?«
»Würde mich überhaupt nicht überraschen.«
Zweiblum ließ sich auf das zweite Bett sinken und versuchte gründlich nachzudenken. Dabei ergaben sich einige Probleme, denn in seinem Bewußtsein war nur Platz für Drachen.
Drachen!
Er träumte von ihnen, seit er als Zweijähriger im Oktarinen Märchenbuch die Bilder feuerspeiender Ungeheuer gesehen hatte. Seine Schwester wies ihn damals darauf hin, daß solche Wesen in Wirklichkeit gar nicht existierten, und deutlich erinnerte er sich an seine Enttäuschung. Wenn es in der realen Welt keinen Platz für diese herrlichen Geschöpfe gab, fand er, so ließ die Welt sehr zu wünschen übrig. Später ging er bei dem Meisterbuchhalter Neunrute in die Lehre und lernte das graue Universum der Zahlen kennen, einen Kosmos, der das genaue Gegenteil von dem darstellte, was Drachen symbolisierten. Daraufhin blieb Zweiblum keine Zeit mehr für schöne Träume.
Dennoch: Mit diesen Drachen schien irgend etwas nicht zu stimmen. Im Vergleich mit denen, die ihm seine Vorstellungskraft zeigte, waren sie zu klein und schlank. Richtige Drachen sollten groß und grün und exotisch sein, ausgestattet mit Klauen, Krallen und einem feurigen Odem. Ja, groß und grün und…
Am Rand seines Blickfelds, in der fernsten und dunkelsten Ecke der Kerkerzelle,
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