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Die Farben der Magie

Die Farben der Magie

Titel: Die Farben der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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schmalen Korridor zu entfalten.
»Wie bist du ins Verlies gekommen?« fragte Zweiblum.
Du hast mich gerufen, Herr.
»Daran erinnere ich mich überhaupt nicht.«
Mit deinen Gedanken, erwiderte der Drache geduldig. Deine geistige Stimme war es, die mich rief.
»Du meinst… Ich habe nur an dich gedacht, und plötzlich warst du da?«
Ja.
»Magie?«
Ja.
»Aber ich habe mein ganzes Leben lang an Drachen gedacht!«
Hier ist die Grenze zwischen Gedanken und Realität durcheinandergeraten. Ich weiß nur eins: Zunächst existierte ich nicht, und dann hast du mich erdacht, woraufhin ich Gestalt und Leben bekam. Deshalb muß ich dir gehorchen.
»Meine Güte!«
Sechs Wächter wählten diesen Augenblick, um hinter der Ecke des Gangs hervorzutreten. Sie blieben unvermittelt stehen und rissen die Augen auf. Einer war geistesgegenwärtig genug, um die Armbrust zu heben und ihren Auslöser zu betätigen.
Die Brust des Drachen schwoll an, und der Bolzen verwandelte sich mitten im Flug in eine Wolke aus glühenden Splittern. Die Wächter flohen, und einen Sekundenbruchteil später kochte eine lodernde Flamme dort über den Boden, wo sie eben noch gestanden hatten.
Zweiblum sah bewundernd zu dem Schuppenriesen auf.
»Kannst du auch fliegen?« fragte er.
Natürlich.
Der Tourist sah erneut durch den Korridor und entschied sich dagegen, den Wächtern zu folgen. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, und deshalb erschien ihm eine Richtung so gut wie jede andere. Er schob sich an dem Drachen vorbei und lief los, während sich das große Tier hinter ihm mühsam drehte.
Sie eilten durch Tunnel, die miteinander verbunden waren und ein regelrechtes Labyrinth bildeten. Einmal glaubte Zweiblum, in weiter Ferne Schreie zu hören, aber sie verklangen sofort wieder. Gelegentlich kamen sie im Halbdunkel an halb eingestürzten uralten Torbögen vorbei. Manchmal glühte es in kleinen Deckenöffnungen; gelegentlich glitzerte das matte Schimmern in Spiegeln, die man dort in Mauern eingelassen hatte, wo sich mehrere Passagen trafen. Ab und zu nahm der Tourist den helleren Glanz eines Lichtschachts wahr.
Als Zweiblum eine breite Treppe hinunterging und dabei silbergrauen Staub aufwirbelte, bemerkte er, daß die Tunnel in diesem Bereich wesentlich mehr Platz boten und auch besser konstruiert zu sein schienen. Statuen standen in kleinen Wandnischen, und an einigen Stellen hingen verblichene, jedoch recht interessante Tapisserien. Meistens zeigten sie Drachen: im Flug oder an Landeringen; Drachen, auf deren Rücken Menschen hockten, die Wild jagten – oder andere Menschen. Behutsam berührte Zweiblum einen der Wandteppiche. Der Stoff zerbröckelte sofort in der heißen trockenen Luft; es blieben nur einige netzartige Strukturen übrig, wo Goldfäden zu dem Webmuster gehörten.
»Warum hat man das hier zurückgelassen?« murmelte der Tourist.
Ich weiß es nicht, antwortete der Drache höflich.
Zweiblum drehte sich um und blickte zu einem schuppigen Pferdegesicht auf.
»Wie heißt du, Drache?« fragte er.
Keine Ahnung.
»Ich glaube, ich nenne dich Neunrute.«
Dann soll das von jetzt an mein Name sein.
Sie wateten durch den allgegenwärtigen Staub und passierten einige Säle mit hohen dunklen Obelisken, die direkt aus dem Fels gemeißelt waren. Und dann die Wände… Vom Boden bis zur Decke bestanden sie aus Statuen, Skulpturen, Basreliefs und kannelierten Säulen, die unstete gespenstische Schatten warfen, wenn der Drache auf Zweiblums Bitte hin Licht spendete. Sie schritten durch lange Galerien und große Amphitheater, in denen sich der Staub zu einer dicken Patina angesammelt hatte. Überall herrschte völlige Stille; nirgends begegneten sie jemandem. Seit Jahrhunderten schien sich niemand in diesen großen Höhlen aufgehalten zu haben.
Dann sah der Tourist einen Pfad, der zu einem weiteren dunklen Tunnel führte – jemand hatte ihn regelmäßig benutzt, und zwar erst vor kurzer Zeit. Es handelte sich um eine tiefe Furche in der grauen Decke.
Zweiblum folgte dem Verlauf des Weges, schritt durch einige weitere hohe Säle und wanderte durch Korridore, die breit genug für einen Drachen waren. (Einmal mußten Drachen an diesem Ort gewesen sein. Zweiblum fand ein Zimmer mit entsprechend großen, halb zerfallenen Ledergeschirren, und eine andere Kammer enthielt Rüstungsteile, die Elefanten gepaßt hätten.) Schließlich erreichten der Tourist und sein Begleiter eine Doppeltür aus grün angelaufener Bronze, beide Flügel so hoch, daß sie oben in der

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