Die Farben der Magie
des Ungeheuers, weil sich Rincewind an seinem Gürtel festhielt. Als er einigermaßen sicher saß, tastete er mit Fingern, deren Knöchel sich weiß abzeichneten, nach einem geeigneten Riemen des Geschirrs und stieß K!sdra behutsam mit dem Schwert an.
»Bist du schon mal geflogen?« fragte der Drachenreiter, ohne sich umzudrehen.
»Nicht auf diese Weise, nein.«
»Möchtest du was lutschen?«
Rincewind betrachtete den Hinterkopf des Mannes, senkte dann den Blick zu einem Beutel mit roten und gelben Bonbons.
»Ist das notwendig?« kam es ihm unsicher von den Lippen. »So verlangt es die Tradition«, antwortete K!sdra. »Bedien dich!« Der Drache stand auf, wankte schwerfällig über die Wiese und stieg in die Luft.
Gelegentlich litt Rincewind an Alpträumen, in denen er auf einem immateriellen, schrecklich hoch gelegenen Ort schwankte und tief unten eine dahinrasende, von Wolkentupfern gesprenkelte Landschaft sah. Für gewöhnlich erwachte er dann mit schweißnassen Waden. Er wäre sicher noch weitaus beunruhigter gewesen, wenn er gewußt hätte, daß es sich nicht um den üblichen Scheibenwelt-Drehschwindel handelte, sondern um die rückwirkende Erinnerung an ein Ereignis, das in der Zukunft wartete und ihn so nachhaltig entsetzen würde, daß die Schwingungen der Furcht weit bis ins vergangene Leben zurückreichten.
Jenes traumatische Ereignis mußte erst noch stattfinden, aber Rincewinds gegenwärtige Erfahrungen bereiteten ihn darauf vor.
Der Rücken des Drachen erbebte mehrmals, als Psepha über die Lichtung sprang. Beim letzten, höchsten Satz schlug er so wuchtig mit den Schwingen, daß die Bäume zitterten.
Dann blieb der Boden unter Rincewind zurück und wich mit sanftem Rucken fort. Plötzlich glitt Psepha anmutig dahin, während das Licht der Nachmittagssonne auf Flügeln schimmerte, die kaum mehr waren als goldener Glanz. Der Zauberer machte den Fehler, den Kopf zu senken –
und starrte durch den Drachen hindurch bis hin zu den Bäumen. Sie befanden sich tief unten. In Rincewinds Magengrube krampfte sich etwas zusammen.
Es hatte kaum Sinn, die Augen zu schließen, denn dadurch ließ er seiner Phantasie freien Lauf. Er schloß einen Kompromiß, indem er in die Ferne blickte, die ihm zum ruhigen Betrachten einladende Wälder zeigte. Wind zerrte an dem Zauberer. K!sdra drehte sich halb um und rief ihm ins Ohr: »Dort ist der Wyrmberg!«
Rincewind neigte ganz langsam den Kopf zur Seite und achtete darauf, daß Kring weiterhin auf dem Rücken des Drachen ruhte. Seine tränenden Augen sahen den absurden, wie umgedreht wirkenden Berg, der in Form einer gewaltigen Trompete aus dem grünen Schoß des Tals ragte.
Zwar betrug die Entfernung noch immer viele Meilen, aber schon jetzt bemerkte er ein trübes oktarines Glühen in der Luft, das auf eine stabile magische Aura mit einer Feldstärke von mindestens einigen Milliprim hinwies!
»O nein«, hauchte er.
Es war sogar noch besser, nach unten zu sehen. Rasch wandte er den Blick vom Berg ab und stellte fest, daß er den Boden nicht mehr durch
den Drachen erkennen konnte. Während sie sich dem Wyrmberg in einem weiten Bogen näherten, nahm ein goldenes Strahlen im Körper des Drachen zu und schien ihm mehr Substanz zu geben. Als der Wyrmberg direkt vor ihnen durch die Wolken stieß, war das Ungeheuer so wirklich und fest wie ein Stein.
Dem Zauberer fiel ein schwacher leuchtender Streifen in der Luft auf, der den Berg mit dem riesenhaften Tier verband. Er gewann den Eindruck, daß der Drache dadurch echter wurde.
Unterdessen verwandelte sich der Wyrmberg von einem kleinen Spielzeug in mehrere Milliarden Tonnen Fels, in eine kolossale Masse zwischen Himmel und Erde. Rincewind beobachtete kleine Felder, Wälder und einen See, von dem ein Fluß ausging, sich über den Rand ergoß und…
Der Zauberer ließ sich dazu hinreißen, mit seinem Blick dem gischtenden Wasser zu folgen – und hielt sich gerade noch rechtzeitig fest, um nicht von dem Schuppenleib zu fallen.
Das breite Plateau des kopfstehenden Berges schwebte auf sie zu. Der Drache wurde nicht einmal langsamer.
Als sich der Wyrmberg wie die größte Fliegenklatsche im ganzen Universum vor Rincewind erhob, sah er einen Höhlenzugang. Psepha flog zu der Öffnung, und seine Schultermuskeln pumpten.
Der Zauberer schrie, als Dunkelheit wogte und ihm umhüllte. Felsen huschten vorbei, ihre Konturen nur Schemen aufgrund der hohen Geschwindigkeit. Dann wichen die Wände jäh zurück.
Sie befanden sich jetzt im Innern
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