Die Farben der Magie
Gepäckstücke, aber wenn sich bei anderen Gelegenheiten der Deckel hob, so sah man… Der Kapitän versuchte nicht daran zu denken. Er ahnte, daß die im Meer ertrunkenen Männer besser dran waren als jene anderen, die eine direkte und unmittelbare Begegnung mit der Kiste erlebt hatten. Er trachtete danach, diese Gedanken zu verdrängen, und erinnerte sich an Zähne wie weiße Grabsteine, an eine Zunge, so rot wie Mahagoni…
Er bemühte sich, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. Es gelang ihm nicht ganz.
Eins stand fest: Nie wieder würde er undankbare Ertrinkende unter geheimnisvollen Umständen aus dem Ozean fischen. Sklaverei war doch besser als Haie, oder? Die Geretteten flohen, und als einige Matrosen die Truhe untersuchten… Wie kam es überhaupt, daß zwei Männer mitten im Meer auf einer Kiste hockten? Ja, und dann biß die Truhe… Erneut versuchte der Kapitän, nicht daran zu denken, und gleichzeitig fragte er sich: Was geschieht, wenn das verdammte Ding merkt, daß sich sein Eigentümer nicht mehr an Bord befindet?
»Das Floß ist fertig, Herr«, sagte der Erste Maat.
»Ins Wasser damit!« rief der Kapitän. Und: »Verlaßt das Schiff! Steckt es in Brand!«
Bestimmt gelang es ihm früher oder später, ein anderes Schiff zu bekommen, philosophierte er. Die Alternative… Man mußte lange in dem Paradies warten, das die Mullahs in Aussicht stellten, bevor einem ein zweites Leben gewährt wurde. Soll die magische Kiste Hummer fressen.
Manche Piraten errangen Unsterblichkeit, indem sie große Taten vollbrachten oder besonders grausam und tollkühn waren. Andere erreichten das Ziel der Unsterblichkeit, indem sie Schätze anhäuften. Doch der Kapitän hatte schon vor langer Zeit beschlossen, daß er unsterblich werden wollte, indem er nicht starb.
» L ieber Himmel, was ist das denn?« fragte Rincewind.
»Sieht toll aus«, erwiderte Zweiblum entzückt.
»Zuerst möchte ich wissen, worum es sich handelt«, brummte der Zauberer.
»Der Randbogen«, erklang eine Stimme dicht hinter seinem linken Ohr. »Und du kannst von Glück sagen, daß du ihn siehst. Zumindest von oben.«
Kalter, nach Fischen riechender Atem begleitete die Stimme. Rincewind saß völlig reglos.
»Zweiblum?« brachte er schließlich hervor.
»Ja?«
»Wenn ich mich umdrehe… Was sehe ich dann?«
»Er heißt Tethis und hat sich als Troll des Meeres vorgestellt«, erklärte der Tourist. »Dies ist sein Boot. Er hat uns gerettet. Bist du jetzt bereit, dich umzudrehen?«
»Äh, noch nicht ganz«, entgegnete Rincewind mit erzwungener Ruhe. »Übrigens: Warum fallen wir nicht über den Rand?«
»Weil euer Boot an den Umzaun gestoßen ist«, ertönte erneut die Stimme hinter Rincewind. Sie weckte Vorstellungen von dunklen Meeresschluchten und Schreckenswesen, die in Korallenriffen lauerten.
»An den Umzaun?« wiederholte er.
»Ja«, bestätigte der Troll, »er erstreckt sich am Rand der Welt.« Rincewind glaubte, jetzt nicht mehr nur das Donnern des Wasserfalls zu hören, sondern auch das Plätschern von Rudern. Er hoffte jedenfalls, daß dieses Geräusch von Rudern stammte.
»Oh, du meinst den Umkreis«, sagte der Zauberer. »Der Umkreis befindet sich immer am Rand von Dingen.«
»Das gilt auch für den Umzaun«, stellte der Troll fest.
»Er meint das hier.« Zweiblum deutete nach unten. Rincewind starrte in die entsprechende Richtung, und Furcht zitterte in ihm, als er überlegte, was sich seinen Blicken darbieten mochte…
Mittwärts spannte sich ein Seil dicht über dem weißen Wasser. Das Boot war so daran vertäut, daß es trotzdem beweglich blieb – ein Wunder, das mit Hilfe eines komplizierten Systems aus Schlaufen, Holzrädern und kleinen Flaschenzügen bewerkstelligt wurde. Diese Vorrichtung bewahrte das Boot davor, der Strömung nachzugeben und ein Opfer des Wasserfalls zu werden. Sie löste ein Rätsel – aber was hielt das Seil?
Rincewind spähte daran entlang und bemerkte einen dicken Holzpfosten, der einige Meter weiter vorn aus dem Wasser ragte. Das Boot näherte sich ihm; die kleinen Räder klackten durch eine Rille und setzten ihren Weg dann fort.
Dem Zauberer fielen auch kleinere Seile auf, die in Abständen von jeweils einem Meter am Haupttau hinabhingen.
Er wandte sich an Zweiblum.
»Ich sehe, was es ist«, sagte er. »Aber was ist es?«
Zweiblum hob die Schultern.
»Dort vorn steht mein Haus«, verkündete der Meerestroll hinter Rincewind. »Dort können wir uns in aller Ruhe unterhalten.
Weitere Kostenlose Bücher