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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Sie haben Carruthers auf die Suche nach ihm geschickt.«
    »Du bist dran, Verity«, sagte Tossie ungeduldig. Sie kam zu uns herüber. »Haben Sie den Ball noch nicht gefunden?«
    »Hier ist er«, rief ich und tauchte aus der Hecke auf, den Ball hochhaltend.
    »Er traf dort auf«, sagte Tossie und zeigte mit ihrem Fuß auf eine Stelle, die ein gutes Stück weiter von der entfernt war, wohin sie ihn tatsächlich geschlagen hatte.
    »Man meint, man spiele mit der Herzkönigin«, sagte ich und gab Verity den Ball.
    Mein Bemühen während der nächsten drei Versuche bestand darin, meinen Ball auf Veritys Spielhälfte zu bekommen, ein Bemühen, das von »Ab-mit-dem-Kopf«-Tossie [57] mehrmals vereitelt wurde.
    »Ich hab’s«, sagte ich und humpelte nach einem von Tossies Schlägen, mit dem sie Terences Ball direkt gegen mein Schienbein gedonnert hatte, zu Verity hinüber. Zu dieser Zeit hatte sich Cyril bereits erhoben und war zum entferntesten Ende des Rasens gewandert. »Mr. C ist der Doktor, der gerufen wird, um Tossies Crocketopfer zu verarzten. Was haben Sie sonst noch herausgefunden?«
    Verity maß ihren nächsten Schlag sorgfältig ab. »Ich fand heraus, wen Terence heiratete.«
    »Bitte, sagen Sie nicht Tossie«, flehte ich und rieb mir, auf dem gesunden Bein balancierend, mein Schienbein.
    »Nein«, entgegnete sie und schoß den Ball millimetergenau durchs nächste Tor. »Nicht Tossie. Maud Peddick.«
    »Das ist doch prima, oder?« sagte ich. »Das heißt, ich habe es doch nicht ganz vermasselt.«
    Sie zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrer Schärpe und reichte es mir heimlich.
    »Was ist das?« Ich steckte das Papier in meine Brusttasche. »Ein Auszug aus Mauds Tagebuch?«
    »Nein. Wahrscheinlich ist Maud die einzige Frau des victorianischen Zeitalters, die kein Tagebuch führte. Es ist ein Brief, den Maud St. Trewes an ihre jüngere Schwester schrieb.«
    »Ihr Ball, Mr. Henry«, rief Tossie.
    »Der zweite Absatz«, sagte Verity.
    Ich versetzte dem Ball einen heftigen Schlag, der ihn hinter Terences Ball und in den Flieder hineinbeförderte.
    »So ein Pech«, sagte Terence.
    »Ja.« Ich nickte und kroch zwischen die Fliedersträucher.
    »Leb wohl, lieber Freund«, rief Terence fröhlich und schwenkte den Schläger. »›Leb wohl! Was wir auch hoffen, glauben, versprechen – Verzweiflung atmet jenes schicksalhafte Wort‹.« [58]
    Ich fand den Ball, hob und ihn auf, kroch tiefer in den Flieder, wo er am dichtesten war, und faltete den Brief auseinander. Er war in einer zierlichen, filigranen Handschrift verfaßt. »Liebste Isabel«, las ich. »Ich freue mich so über Deine Verlobung. Robert ist ein so netter junger Mann, und ich hoffe sehr, daß Ihr beide genauso glücklich werdet wie Terence und ich es sind. Mach Dir keine Sorgen darüber, daß Du ihn vor der Tür zum Eisenwarenhändler kennengelernt hast – ein wahrhaft unromantischer Ort. Gräm Dich deshalb nicht. Mein lieber Terence und ich haben uns zum ersten Mal auf einem Bahnsteig gesehen, am Bahnhof von Oxford, wo ich mit Tante Amelia stand…«
    Ich starrte auf den Brief. Der Bahnsteig in Oxford.
    »… auch kein sehr romantischer Ort, aber ich wußte sofort, inmitten des ganzen Gepäcks und Lokomotivendampfs, daß Terence der richtige Mann für mich ist.«
    Aber sie hatte ihn nicht getroffen. Ich war dort gewesen, und sie und Tante Amelia hatten eine Droschke bestellt und waren weggefahren.
    »Kannst du ihn nicht finden?« rief Terence.
    Ich faltete rasch den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Hier ist er«, sagte ich und tauchte unter den Büschen hervor.
    »Er lag dort«, sagte Tossie und zeigte mit ihrem Fuß auf einen völlig willkürlichen Fleck.
    »Danke, Miss Mering.« Ich maß eine Schlägerbreite ab, legte den Ball ins Gras, und wollte ihn wegschlagen.
    »Sie sind bereits fertig«, sagte Tossie und ging zu ihrem Ball. »Ich bin jetzt dran.« Sie versetzte ihrem Ball einen so kräftigen Schlag, daß er meinen direkt wieder zurück in den Flieder beförderte.
    »Crocket«, sagte Tossie. »Zwei Schläge.«
    »Ist sie nicht umwerfend?« fragte Terence und half mir, meinen Ball zu suchen.
    Nein, dachte ich und selbst wenn sie es wäre, solltest du nicht in sie verliebt sein. In Maud solltest du verliebt sein. Am Bahnhof hättest du sie treffen sollen, und all das ist meine Schuld. Meine Schuld, meine Schuld.
    »Mr. Henry, Sie sind dran«, drängte Tossie.
    »Oh, ja.« Ich schlug blindlings nach dem nächstbesten

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