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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Ball.
    »Fehler, Mr. Henry«, sagte Tossie ungeduldig. »Sie sind raus.«
    »Wie?«
    »Sie sind raus, Mr. Henry. Sie haben diesen Ball schon einmal berührt. Sie dürfen ihn nicht noch mal berühren, bevor Sie nicht durch das Tor sind.«
    »Aha.« Ich zielte nach dem Tor.
    »Nicht das Tor!« Tossie schüttelte die blonden Locken. »Aus, weil Sie versucht haben, ein Tor umzustoßen.«
    »Entschuldigung.« Ich versuchte, meine Augen zu fokussieren.
    »Mr. Henry ist die amerikanische Spielweise gewöhnt«, sagte Verity.
    Ich stellte mich neben sie und sah zu, wie Tossie erst Maß nahm und den Ball dann wie eine Billardkugel auf den Weg schickte, im Kopf kalkulierend, wie die Bälle gegeneinanderprallen und auseinanderstieben würden.
    »Das ist sehr übel«, sagte Verity. »Einer ihrer Enkel war Pilot bei der Royal Air Force während der Schlacht um Großbritannien. Er flog den ersten Luftangriff auf Berlin.«
    »Terence!« rief Tossie. »Diese Kreatur von Hund ist im Wege! Ich habe einen Doppelcrocket!«
    Terence eilte gehorsam zu Cyril, um ihn aus der Bahn zu schieben. Tossie schaute die Schlägerlänge entlang, maß die Winkel, wo die Bälle kollidieren würden und überlegte die Möglichkeiten.
    Ich stand da und schaute ihr zu. Verity brauchte nichts zu erklären. Ich wußte alles über diesen ersten Luftangriff. Er war im September 1940, mitten im Krieg zwischen Deutschland und Großbritannien. Hitler hatte geschworen, daß keine britischen Bomben auf Deutschland fallen sollten und als sie es doch taten, hatte er die Bombardierung von London angeordnet. Und dann, im November, die von Coventry.
    Tossie hob den Schläger. Ihr Ball traf meinen, schoß ihn fort, traf Veritys und sauste direkt durchs Tor.
    Dieser Luftangriff hatte die Royal Air Force gerettet, die der deutschen Luftwaffe zahlenmäßig völlig unterlegen war. Wenn die Luftwaffe sich nicht auf die Bombardierung der Zivilbevölkerung geworfen hätte, wie sie es daraufhin tat, hätte sie die Luftschlacht um Großbritannien gewonnen. Und Hitler wäre einmarschiert.

»Zieh einen einz’gen Faden, und das Netz geht entzwei; zerbrich einen einz’gen aller Schlüssel, und ein schriller Schrei durchfährt die Welt.«
    John Greenleaf Whittier
     
15. Kapitel
     
     
    Nächtliche Besucher • Ein Feuer • Noch mehr Ähnlichkeiten mit der Titanic • Ein Geist • Schlafwandeln • Pearl Harbour • Fisch • Eine Unterhaltung mit einem Handwerker-Finch • Auf Nichts Gutes aus • Verity und ich fahren auf der Themse Boot • Anträge in Latein und ihre Vor- und Nachteile • Napoleons gesundheitliche Probleme • Schlaf • Ähnlichkeiten zwischen Literatur und dem wirklichen Leben • Eine Ankündigung
     
     
    Meine zweite Nacht in Muchings End gestaltete sich genauso erholsam wie die erste. Zuerst erschien Terence bei mir und wollte wissen, was Tossie über ihn gesagt hatte, als wir bei den Chattisbournes waren, und ob ich nicht auch glaube, daß ihre Augen »funkelnden Sternen in der Dämmerung« glichen. Cyril mußte wieder die Treppe hinuntergetragen werden, und Baine brachte mir heiße Schokolade und fragte mich, ob es stimme, daß in Amerika jeder Mann eine Schußwaffe bei sich trage. Ich verneinte es.
    »Ich habe auch gehört, daß die Amerikaner sich weniger um Klassenunterschiede kümmern und daß die sozialen Barrieren dort niedriger sind.«
    Ich überlegte, was das mit Schußwaffen zu tun hatte und ob der Mann eine Laufbahn als Verbrecher anstrebte.
    »Amerika ist gewiß ein Land, wo es jedermann freisteht, sein Glück zu suchen«, sagte ich. »Und es auch zu finden.«
    »Stimmt es, daß der Industriemagnat Andrew Carnegie der Sohn eines Bergarbeiters war?« fragte Baine, und als ich das bestätigte, schenkte er die Schokolade ein und dankte mir noch einmal dafür, daß ich Prinzessin Arjumand gefunden hatte. »Es ist eine Freude, zu sehen, wie glücklich Miss Mering nun wieder ist.«
    Eigentlich hatte ich gedacht, sie sei glücklich, weil sie beim Crocketspielen alle vom Platz gefegt hatte, schwieg aber.
    »Wenn es jemals etwas geben sollte, womit ich Ihnen einen Gefallen tun kann, Sir…«
    Vielleicht einen Jäger nach Berlin fliegen? überlegte ich. Das wohl kaum.
    Am Ende des Crocketspiels, als Tossie Terences Ball zu einem Klumpen drosch, hatte Verity mir zugeflüstert, daß ich auf jeden Fall Mauds Brief vernichten müsse, damit wir nicht noch eine weitere Inkonsequenz verursachten. Nachdem Baine also gegangen war, verschloß ich die Tür,

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