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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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wie ich befürchte, einen beträchtlichen Schock erleiden. Der Körper von Frauen oder ihre Figuren werden niemals erwähnt, und ihre Beine werden als ›Gliedmaßen‹ bezeichnet.«
    »Also, was soll ich dann sagen? Die Katze ist in guter Hoffnung? In anderen Umständen?«
    »Sie sollen das Thema überhaupt nicht anschneiden. Schwangerschaften werden geflissentlich übersehen, bei Menschen und bei Tieren. Sie hätten es überhaupt nicht erwähnen dürfen.«
    »Und wenn sie geboren sind und ein halbes Dutzend Kätzchen überall im Haus herumwuselt? Soll ich das dann auch ignorieren? Oder so tun, als wären sie vom Himmel gefallen?«
    Finch schaute unbehaglich. »Es gibt noch einen weiteren Grund, Sir«, sagte er geheimnisvoll. »Wir wollen nicht mehr Aufmerksamkeit auf uns lenken als unbedingt nötig. Wir wollen nicht noch eine Inkonsequenz verursachen.«
    »Inkonsequenz? Wovon reden Sie?«
    »Ich darf darüber nichts sagen. Wenn Sie in den Salon zurückkehren, würde ich mich an Ihrer Stelle jeglicher Äußerung über die Katze enthalten.«
    Er hörte sich wirklich wie Jeeves an. »Sind Sie vielleicht gut vorbereitet«, sagte ich bewundernd. »Wann hatten Sie Zeit, so viel über das victorianische Zeitalter zu lernen?«
    »Das darf ich nicht sagen«, entgegnete Finch mit erfreutem Gesichtsausdruck. »Aber ich darf wohl sagen, daß ich mich fühle, als wäre das hier genau der Job, zu dem ich geboren bin.«
    »Nun, wenn Sie so gut darin sind, dann sagen Sie mir doch, was ich sagen soll, wenn ich wieder ins Zimmer komme. Mit wem soll ich gesprochen haben? Ich kenne hier niemanden weit und breit.«
    »Das ist kein Problem, Sir«, sagte er und öffnete mit der behandschuhten Rechten die Bibliothekstür.
    »Kein Problem? Was meinen Sie damit? Ich muß doch irgendwas sagen.«
    »Nein, Sir. Es wird sie nicht kümmern, warum Sie weggerufen werden, solange Ihre Abwesenheit den Damen die Zeit gibt, Sie durchzuhecheln.«
    »Durchzuhecheln?« fragte ich alarmiert. »Sie meinen, ob ich der bin, für den ich mich ausgebe?«
    »Nein, Sir«, erwiderte Finch, von Kopf bis Fuß der perfekte Butler. »Über Ihre Eignung als Ehemann.« Er führte mich über den Gang, verbeugte sich leicht und öffnete die Salontür mit der behandschuhten Linken.
    Er hatte recht. Als ich ins Zimmer kam, trat eine plötzliche Stille ein, gefolgt von einem Ausbruch von Gekicher.
    »Tocelyn hat uns gerade von Ihrem Zusammenstoß mit dem Tod erzählt, Mr. Henry«, sagte Mrs. Chattisbourne dann.
    Als ich beinahe ›schwanger‹ gesagt hatte? Ich überlegte.
    »Als Ihr Boot kenterte«, sagte Pansy eifrig. »Aber ich nehme an, das ist noch gar nichts im Vergleich zu Ihren Abenteuern in Amerika.«
    »Hat man Sie skalpiert?« fragte Eglantine.
    »Eglantine!« Mrs. Chattisbournes Stimme klang tadelnd.
    Finch erschien an der Tür. »Entschuldigen Sie, Madam«, sagte er. »Werden Miss Mering und Mr. Henry zum Lunch bleiben?«
    »O ja, Mr. Henry«, zirpten die Mädchen. »Sie müssen uns alles über Amerika erzählen.«
    Ich verbrachte das Mittagessen damit, ihnen eine Geschichte mit Postkutschen und Tomahawks aufzutischen, die ich mir aus Vorträgen über das neunzehnte Jahrhundert zusammenschusterte, und ich hätte mir gewünscht, ihnen intensiver gelauscht zu haben. Dabei beobachtete ich Finch. Er zeigte mir das richtige Eßbesteck an, indem er mir beim Servieren zuflüsterte: »Die Gabel mit den drei Zinken«, oder diskret von der Anrichte her winkte, während ich die Aufmerksamkeit der Chattisbournes mit Sätzen wie: »In dieser Nacht, als wir ums Lagerfeuer saßen, hörten wir die Kriegstrommeln der Indianer in der Dunkelheit über die Prärie hallen – bomm, bomm, bomm.« (Kichern).
    Nach dem Lunch baten Iris, Rose und Pansy uns, mit ihnen noch eine Partie Charade zu spielen, aber Tossie meinte, wir müßten aufbrechen, verschloß sorgfältig ihr Tagebuch und steckte es diesmal nicht in den Korb, sondern in ihr Handtäschchen. »Oh, bleib doch noch ein kleines Weilchen«, bettelte Pansy, aber Tossie sagte, wir hätten noch den Vikar zu besuchen, um die Spenden einzusammeln. Ich war ihr dankbar. Zum Essen hatte es Rheinwein und Bordeaux gegeben, was, kombiniert mit dem Johannisbeerlikör und den Folgen der Zeitkrankheit, in mir den Wunsch nach einem ausgiebigen Mittagsschläfchen geweckt hatte.
    »Werden wir Sie beim Kirchfest sehen?« fragte Iris kichernd.
    Leider ja, dachte ich und hoffte, daß der Vikar nicht weit entfernt wohnte.
    Tat er auch nicht.

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