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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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würden den Bahnhof St. Pancras so gern sehen, nicht wahr, Mama?« sagte Tossie. Eine Tür schlug laut zu.
    »Es ist ein vollkommenes Beispiel neugotischer Architektur«, sagte der Kurator, leicht zusammenzuckend. »Meiner Meinung nach sollte Architektur die Gesellschaft widerspiegeln, besonders in Kirchen und Bahnhöfen.«
    »Das denke ich auch«, sagte Tossie.
    »Ich…« begann Mrs. Mering, und Tossie und der Kurator wandten sich zu ihr um. Sie blickte gerade mit einem seltsam nachdenklichen Gesichtsausdruck auf des Bischofs Vogeltränke.
    »Mama, was ist?« fragte Tossie.
    Mrs. Mering legte ihre Hand zögernd auf ihren Busen und runzelte etwas die Stirn, wie Menschen es tun, wenn sie überlegen, ob sie sich gerade ein Stück Zahn abgebrochen haben.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Terence und nahm ihren Arm.
    »Doch«, sagte sie. »Ich habe nur… so ein ganz komisches Gefühl, als ob…« Sie runzelte wieder die Stirn. »Ich schaute gerade da drauf…« – sie wies mit der Hand, die auf ihrem Busen gelegen hatte, auf des Bischofs Vogeltränke –, »und auf einmal hatte ich…«
    »Hast du eine Botschaft erhalten?« fragte Tossie.
    »Nein, keine Botschaft«, sagte Mrs. Mering, zögernd, als forsche sie immer noch an dem Zahn. »Es war… Ich hatte so ein eigenartiges Gefühl…«
    »Eine Vorahnung?« fragte Tossie rasch.
    »Ja«, erwiderte Mrs. Mering nachdenklich. »Du…« Sie runzelte erneut die Stirn, als versuche sie sich an einen Traum zu erinnern, wandte sich dann um und starrte auf des Bischofs Vogeltränke. »Es war… Wir müssen sofort nach Hause.«
    »Aber wir können doch jetzt noch nicht gehen«, protestierte Verity.
    »Ich wollte unbedingt noch die Schatzsuche mit Ihnen besprechen«, sagte der Kurator und schaute Tossie enttäuscht an. »Und die Aufstellung für die Tische mit den Galanteriewaren. Können Sie nicht wenigstens zum Tee bleiben?«
    »Baine!« rief Mrs. Mering, die beiden gar nicht beachtend.
    »Ja, Madam?« fragte Baine, der wieder zur Südtür gegangen war.
    »Baine, wir müssen sofort nach Hause«, sagte Mrs. Mering und setzte sich in seine Richtung in Bewegung. Baine beeilte sich, ihr auf halbem Weg entgegenzukommen, einen Schirm in der Hand. »Ist etwas passiert?« fragte er.
    »Ich habe eine Warnung erhalten«, sagte Mrs. Mering, die allmählich wieder wie sie selbst aussah. »Wann geht der nächste Zug?«
    »In elf Minuten«, erwiderte er prompt. »Aber es ist ein lokaler Zug. Der nächste Eilzug nach Reading geht erst um vier Uhr achtzehn.«
    »Holen Sie die Kutsche«, sagte sie. »Eilen Sie dann zum Bahnhof vor und sagen Sie dort, man soll den Zug für uns anhalten. Und nehmen Sie den Schirm fort. Es bringt Unglück, Schirme in Räumen aufzuspannen. Großes Unglück!« Sie griff sich ans Herz. »Oh! Was, wenn wir zu spät kommen?«
    Baine kämpfte damit, den Schirm zusammenzufalten. Ich nahm ihn ihm ab, und er nickte dankbar und eilte fort, um den Bahnhof zu erreichen.
    »Möchten Sie sich nicht hinsetzen, Tante Malvinia?« fragte Verity.
    »Nein, nein!« Mrs. Mering schüttelte Veritys Hand ab. »Geh und sieh nach, ob die Kutsche schon da ist. Regnet es noch?«
    Es regnete noch, und die Kutsche war da. Terence und der Fahrer halfen Mrs. Mering die Stufen hinab und stopften sie und die Röcke ihres Reisekleides in die Kutsche. Ich nutzte die Gunst des Augenblicks, um dem Kurator die Hand zu schütteln. »Vielen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, uns die Kirche zu zeigen, Mr…, äh?« sagte ich.
    »Mr. Henry!« rief Mrs. Mering aus der Kutsche. »Wir werden den Zug verpassen.«
    Die Südtür öffnete sich, und Miss Sharpe erschien. Sie ging schnurstracks die Stufen hinunter, an uns vorbei und zur Bayley Street hoch. Der Kurator schaute ihr nach.
    »Auf Wiedersehen«, rief Tossie aus dem Kutschfenster. »Ich würde so gern den Bahnhof St. Pancras sehen!«
    Ich versuchte noch einmal mein Glück, meinen Fuß bereits auf dem Trittbrett. »Viel Glück bei Ihrem Kirchfest, Mr…?«
    »Danke«, sagte er geistesabwesend. »Auf Wiedersehen, Mrs. Mering. Auf Wiedersehen, Miss Mering. Wenn Sie mich entschuldigen wollen…« Er rannte hinter Miss Sharpe her. »Miss Sharpe!« rief er. »Warten Sie! Delphinium! Dellie!«
    »Ich glaube, ich habe Ihren Namen nicht ganz…« Ich lehnte mich aus dem Fenster.
    »Mr. Henry!« schnauzte Mrs. Mering. »Los, Kutscher!« Und wir ratterten davon.

»Keiner entgeht seinem Waterloo.«
    Wendell Phillips
     
20.

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