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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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sie jetzt auch…« Ich blieb stehen, denn genau dort war sie.
    Es war offenkundig, warum man sich entschlossen hatte, sie in diesen bestimmten Gang zu stellen. 1888 war das Licht in diesem Teil der Kirche sehr dämmrig, und eine der Säulen verbarg des Bischofs Vogeltränke vor dem Rest der Kirche.
    Und eine der Damen des Blumenausschusses hatte ihr Bestes gegeben und den oberen Bereich unter großen Hängepeonien und Efeuranken verborgen, die sich über die Zentauren und eine der Sphinxe legten. Sie war auch neuer und glänzte entsprechend, wodurch man gnädigerweise etwas weniger Einzelheiten wahrnahm. Sie sah bloß noch halb so schlimm aus.
    »Großer Gott«, sagte Verity. »Ist sie das?« Ihre Stimme hallte in dem Fächergewölbe. »Das ist ja absolut scheußlich.«
    »Nun ja, darüber sind wir uns alle einig. Behalten Sie’s für sich.« Ich wies auf ein paar Handwerker, die hinten im Kirchenschiff beschäftigt waren. Einer von ihnen, der ein blaues Hemd und ein schwärzliches Halstuch trug, legte gerade Bohlen von einem Stapel auf den anderen. Der zweite hatte sich jede Menge Nägel zwischen die Lippen geklemmt und hämmerte laut auf eine Planke ein, die quer über zwei Sägeböcken lag.
    »Entschuldigung«, flüsterte Verity zerknirscht. »Es war bloß der Schock. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.« Sie deutete vorsichtig auf eine der Verzierungen. »Was ist das – ein Kamel?«
    »Ein Einhorn«, erklärte ich. »Die Kamele sind auf dieser Seite hier, neben der Schilderung, wie Joseph von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde.«
    »Und das da?« Sie wies auf ein großes Relief über einer schmiedeeisernen Girlande von Rosen und Disteln.
    »Die Hinrichtung Maria Stuarts«, sagte ich. »Die Victorianer liebten es, wenn Kunst gegenständlich war.«
    »Und überladen«, sagte Verity. »Kein Wunder, daß Lady Schrapnell keinen Kunsthandwerker fand, der davon eine Reproduktion machen konnte.«
    »Ich hatte Skizzen angefertigt«, erklärte ich. »Wahrscheinlich haben die Kunsthandwerker es aus moralischen Erwägungen abgelehnt.«
    Verity betrachtete des Bischofs Vogeltränke intensiv, den Kopf zur Seite geneigt. »Das kann unmöglich ein Seepferd sein.«
    »Das ist Neptuns Kutsche«, sagte ich. »Und dies hier drüben ist das Teilen des Roten Meeres. Daneben Leda und der Schwan.«
    Sie streckte die Hand aus und berührte einen der ausgestreckten Schwanenflügel. »Sie hatten recht. Sie ist unzerstörbar.«
    Ich nickte, den Blick auf diese gußeiserne Beständigkeit geheftet. Selbst wenn das Dach darauf gefallen wäre, würde sie kaum eine Delle davongetragen haben.
    »Und scheußlich aussehende Dinge werden niemals zerstört«, fuhr Verity fort. »Das ist ein Naturgesetz. Die St. Pancras Station wurde im Blitzkrieg nicht getroffen. Und das Albert Memorial auch nicht. Und das hier ist scheußlich.«
    Der Meinung war ich auch. Selbst die Hängepeonien und der Efeu konnte diese Tatsache nicht verbergen.
    »Oh!« rief Tossie hinter uns, hingerissen vor Entzücken. »So was Hübsches habe ich ja noch nie gesehen!«
    Sie flatterte herbei, Terence im Gefolge, und blieb bewundernd vor des Bischofs Vogeltränke stehen, die behandschuhten Finger unterm Kinn gefaltet. »Oh, Terence, ist das nicht niedlich?«
    »Äh, tja…« setzte Terence an.
    »Schau nur, die süßen Engelchen! Und die Opferung von Isaak! Oh! Oh!« Sie stieß eine Serie Schreichen aus, die den hämmernden Handwerker dazu brachten, irritiert aufzuschauen. Er sah Tossie, spie die Nägel auf den Boden und stieß seinen Kollegen an. Dieser schaute vom Sägen hoch. Der Hämmerer sagte etwas zu ihm, worauf er das Gesicht zu einem breiten, zahnlosen Grinsen verzog und sich, Tossie grüßend, an das Arbeiterkäppchen tippte.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte ich leise zu Verity. »Ich geh’ ja schon und frag’ nach ihren Namen.«
    Was, da die Handwerker den Eindruck hatten, ich wollte sie wegen lüsternen Glotzens beim Kurator melden, einige Zeit dauerte, aber als ich zurückkam, hatte sich Tossie immer noch nicht beruhigt.
    »Sieh doch mal!« quietschte sie. »Salome!«
    »Widge und Barrett«, flüsterte ich Verity zu. »Sie wissen nicht, wie der Geistliche heißt. Unter sich nennen sie ihn Froschauge.«
    »Schau!« rief Tossie aus. »Hier ist das Tablett, und hier ist der Kopf von Johannes dem Täufer!«
    Und das war ja alles schön und gut, sah aber nicht nach einer lebensumwälzenden Erfahrung aus. Tossie hatte beim Basar genauso über den Holzschuh

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