Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
dann vierzig Meilen entfernt von Muchings End ankommen lassen? Und Carruthers in einem Kürbisfeld? Warum hatte es sich nach dem Luftangriff drei Wochen lang geweigert, sich für Carruthers zu öffnen? Warum hatte es mich ins Jahr 2018 und 1395 geschickt und Verity ins Jahr 1940? Und die wichtigste Frage von allen – warum schickte es uns jetzt zurück?
    »Ein Amerikaner!« schrillte Mrs. Merings Stimme vom Ende des Korridors her. »Es ist alles Mr. Henrys Schuld. Er und seine unmöglichen amerikanischen Ansichten über Klassengleichheit!«
    Eindeutig Zeit, aufzubrechen. Ich schloß die Reisetasche und ging auf den Korridor. An Veritys Tür hielt ich und wollte gerade klopfen, ließ es aber auch lieber sein.
    »Wo ist Jane?« erschallte Mrs. Merings Stimme. »Warum ist sie noch nicht zurück? Irische Dienstboten! Das ist alles deine Schuld, Mesiel. Ich wollte…«
    Ich huschte rasch und lautlos die Treppe hinunter, an deren Fuß Colleen-Jane stand, die Schürze in den Händen zerknüllend.
    »Hat sie Sie entlassen?« fragte ich sie.
    »Nein, Sorrr, noch nicht.« Sie schaute nervös in die Richtung von Mrs. Merings Zimmer. »Aber sie ist dermaßen wütend.«
    Ich nickte. »Ist Miss Brown schon nach unten gekommen?«
    »Ja, Sorrr. Ich soll Ihnen sagen, sie wartet am Bahnhof auf Sie.«
    »Am Bahnhof?« Dann begriff ich, daß Verity das Netz meinte. »Danke, Jane. Colleen. Und viel Glück.«
    »Danke, Sorrr.« Zögernd ging sie die Treppe hoch und bekreuzigte sich dabei.
    Ich öffnete die Eingangstür und stand direkt vor Finch, der seinen Schwalbenschwanz und Derby trug und gerade nach dem Türklopfer hatte greifen wollen.
    »Mr. Henry!« sagte er. »Genau Sie wollte ich treffen.«
    Ich schloß die Tür hinter mir und führte ihn zu einer Stelle, wo wir von den Fenstern aus nicht gesehen werden konnten.
    »Ich bin so froh, daß ich Sie noch getroffen habe, bevor Sie abreisten, Sir«, sagte Finch. »Ich stecke in einem Dilemma.«
    »Ich bin kaum die Person, die Sie da fragen sollten.«
    »Sehen Sie, Sir, mein Auftrag ist beinahe beendet und ich könnte eigentlich morgen früh bereits nach Oxford zurück, aber Mrs. Chattisbourne hat morgen nachmittag zum Tee eingeladen, wegen der Wohltätigkeitsveranstaltung am Tag der Heiligen Anna. Es ist ihr furchtbar wichtig und deshalb wollte ich, damit alles glatt geht, noch bleiben. Dieses Mädchen von ihr, Gladys, hat ein Spatzenhirn und…«
    »Und Sie befürchten, daß Sie die Einweihung verpassen könnten, wenn Sie noch ein paar Tage länger bleiben?« fragte ich.
    »Nein. Ich fragte Mr. Dunworthy, und er meinte, es sei in Ordnung, sie könnten mich zur selben Zeit wie geplant zurückbringen. Nein, mein Dilemma kommt daher.« Er hielt mir einen viereckigen Umschlag mit den eingravierten goldenen Initialen M. M. hin. »Das ist ein Angebot von Mrs. Mering. Sie möchte, daß ich als Butler zu ihnen komme.«
    Also deshalb hatte Colleen-Jane ihren Umhang an gehabt! Ihre einzige Tochter verschwunden, durchgebrannt mit einem Butler, ihr Herz gebrochen – und das erste, was Mrs. Mering tat, war Colleen-Jane zu den Chattisbournes zu schicken, um deren Butler abzuwerben.
    »Es ist ein sehr gutes Angebot, Sir«, sagte Finch. »Es ist außerordentlich verlockend.«
    »Denken Sie daran, permanent in diesem Jahrhundert zu bleiben?«
    »O nein, Sir! Obwohl…«, sagte Finch versonnen, »es Augenblicke gibt, wo ich fühle, daß das hier mein wahres Metier ist. Nein, mein Dilemma ist, daß Muchings End mehr meinem Auftrag entgegenkommt wie die Chattisbournes. Wenn ich alles richtig deute, müßte dieser Auftrag heute nacht beendet sein, also macht es nichts, aber es könnte auch noch mehrere Tage dauern. Und falls dem so ist, wird mein Auftrag…«
    »Was ist überhaupt Ihr Auftrag, Finch?« fragte ich.
    Er blickte gequält. »Das darf ich Ihnen leider nicht sagen, Sir. Mr. Lewis hat mich zu strengstem Stillschweigen verpflichtet, und ich war Zeuge von Ereignissen, von denen Sie noch nichts wissen, außerdem habe ich Zugang zu Informationen, die Sie nicht kennen, und ich möchte auf gar keinen Fall den Erfolg meines oder Ihres Auftrags aufs Spiel setzen, indem ich etwas zur unrechten Zeit ausplaudere. Wie Sie wissen, Sir, Feind hört mit.«
    Wieder suchte mich jenes seltsame desorientierte Gefühl heim, als ob die Dinge wieder in Bewegung wären und sich neu ordneten, und ich bemühte mich, es festzuhalten, wie ich mich an dem Fußgängereingang festgehalten hatte.
    »Feind hört mit.« Wer

Weitere Kostenlose Bücher