Die Farben der Zeit
Hand auf dem Schlußpfosten der Treppe, traurig hinter Terence her.
Morgen wird sie wieder in den 1930ern sein, dachte ich und begriff, was das bedeutete. Zurück, um Detektivromane zu lesen und die Große Depression zu dokumentieren, die wundervollen roten Haare im Pagenschnitt und ihre langen Beine, die ich noch nie gesehen hatte, in Seidenstrümpfen mit Naht. Und ich würde sie nie wiedersehen.
Nein, ich würde sie wahrscheinlich bei der Einweihung sehen. Wenn es mir noch gestattet war, zu kommen. Wenn Lady Schrapnell mich nicht für immer und ewig zu Wohltätigkeitsbasaren verdonnerte, wenn ich ihr sagte, daß des Bischofs Vogeltränke nicht in der Kathedrale gewesen war.
Und falls ich Verity bei der Einweihung sah, was sollte ich zu ihr sagen? Terence brauchte sich nur dafür zu entschuldigen, daß er versehentlich geglaubt hatte, verliebt zu sein. Ich mußte mich dafür entschuldigen, ein derartiger Hemmschuh im Lauf der Dinge gewesen zu sein, daß man mich während des absoluten Höhepunkts in einem Verlies außer Gefecht gesetzt hatte. Nichts, worauf man stolz sein konnte. Genauso gut wie hinter dem Stand mit Galanteriewaren zu stecken.
»Ich werde das alles vermissen«, sagte Verity, den Blick immer noch auf die Treppe gerichtet. »Ich sollte froh sein, daß alles so ein gutes Ende genommen hat und daß das Kontinuum nicht zusammenbricht…« Sie wandte mir ihre wunderbaren Naiadenaugen zu. »Die Inkonsequenz ist doch beseitigt, oder?«
»Es geht ein Zug um neun Uhr dreiundvierzig.« Terence schoß die Treppe hinab, in der einen Hand seinen Hut, in der anderen eine Reisetasche. »Baine hat freundlicherweise einen Fahrplan in meinem Zimmer gelassen. Kommt um elf Uhr zwei in Oxford an. Komm, Cyril, wir werden uns verloben. Wo willst du hin? Cyril!« Er verschwand im Wohnzimmer.
»Ja«, sagte ich zu Verity. »Vollständig beseitigt.«
»Ned, kannst du veranlassen, daß Jabez das Boot zurückbekommt?« Terence erschien wieder mit Cyril. »Und daß mein übriges Gepäck nach Oxford geschickt wird?«
»Natürlich«, sagte ich. »Los, ab mit dir!«
Er schüttelte mir die Hand. »Mach’s gut, Freund, ahoi! Lebwohl, ade! Ich seh dich nächstes Semester.«
»Ich… da bin ich mir nicht sicher«, sagte ich, mir plötzlich bewußt, wie sehr ich ihn vermessen würde. »Mach’s gut, Cyril.« Ich beugte mich hinunter, um seinen Kopf zu tätscheln.
»Unsinn. Du siehst schon viel besser aus, seitdem wir in Muchings End sind. Bis zum Semesterbeginn wirst du vollkommen gesund sein. Wir werden uns prächtig auf dem Fluß amüsieren.« Und fort war er, und der glückliche Cyril ihm hinter drein.
»Ich will, daß sie sofort das Haus verlassen«, tönte Mrs. Merings überreizte Stimme. Wir schauten beide die Treppe hoch. Eine Tür schlug zu. »Kommt gar nicht in Frage!« sagte Mrs. Mering, dann hörte man Gemurmel. »… und sag ihnen…«
Weiteres Gemurmel. »Ich will, daß du sofort nach unten gehst und es ihnen sagst! Sie sind an allem schuld!«
Noch mehr Gemurmel. Dann: »Wenn sie eine ordentliche Anstandsdame gewesen wäre, wäre es niemals…«
Das Schlagen einer Tür schnitt den Rest des Satzes ab, und eine Minute später kam Colonel Mering die Treppe herunter, das Gesicht grämlich. Er schien peinlich berührt.
»Ist für meine arme Frau alles ein bißchen viel gewesen«, sagte er und betrachtete den Teppich. »Die Nerven. Äußerst empfindsam. Ruhe und absolute Erholung ist’s, was sie jetzt braucht. Denke, du fährst am besten zu deiner Tante nach London, Verity, und Sie nach…« Er suchte nach Worten.
»Nach Oxford, Sir«, half ich nach.
»Ah, ja, zu Ihren Studien. Tut mir leid«, sagte er zum Teppich gewandt. »Besorge gern eine Kutsche.«
»Nein, vielen Dank, das geht schon«, erwiderte ich.
»Kein Problem. Werde Baine sagen, daß…« Er brach mit hilflosem Blick ab.
»Ich bringe Miss Brown zum Bahnhof«, sagte ich.
Colonel Mering nickte. »Muß nach meiner lieben Frau sehen«, meinte er und wollte die Treppe wieder hoch. Verity lief hinter ihm her. »Colonel Mering«, sagte sie und folgte ihm halbwegs hoch. »Ich denke, Sie sollten Ihre Tochter nicht enterben.«
Er schaute betreten. »Fürchte, Malvinia wird nicht umzustimmen sein. Furchtbarer Schock, das alles. Butler!«
»Baine – ich meine, Mr. Callahan – hat Tossies Katze davon abgehalten, Ihren Schwarzen Mauren zu fressen«, sagte Verity.
Es war genau das Falsche. »Er hat sie aber nicht davon abgehalten, meinen kugeläugigen
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