Die Farben der Zeit
aus dem Jahr 1940, und einen Brief an den Herausgeber, der sich in keiner der Zeitungen aus Coventry fand.«
Mrs. Bittner nickte weise. »Der Zwischenfall mit dem Hund, der nachts nicht bellte.«
»Genau. Die Nazis hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, die Zeitschriften der Alliierten genauestens zu studieren, in der Hoffnung, auf eine Geheimdienstinformation zu stoßen, die unbeabsichtigt an die Öffentlichkeit gelangt war. Ich glaube, Miss Sharpes Brief und die Worte ›von dem Luftangriff gewußt haben‹, weckten den Argwohn eines Nazigeheimdienstlers, der Angst bekam, daß ihr Codesystem geknackt worden sein könnte. Vorsichtige Nachforschungen wurden angestellt, Nachforschungen, die ergaben, daß der britische Generalsstab in besagter Nacht eiligst Jagdflugzeuge nach Coventry beordert hatte und daß man versucht hatte, den Richtstrahl der deutschen Flugzeuge zu stören.«
»Und so fanden die Nazis heraus, daß wir Ultra hatten«, sagte Verity, »und änderten ihre Enigma-Maschine.«
»Und wir verloren den Feldzug in Nordafrika«, sagte ich, »und wahrscheinlich auch die Invasion am Tag X…«
»Und die Nazis gewannen den Krieg«, vollendete Mrs. Bittner trübe. »Doch soweit kam es nicht. Sie haben sie gestoppt.«
»Das Kontinuum stoppte sie, mit seinem System von Verteidigungsstrategien und Backups, das beinahe so gut ist wie das von Ultra«, sagte ich. »Das einzige, was in den ganzen Schlamassel nicht reinpaßte, war der Schlupfverlust bei Veritys Sprung. Wenn der nicht gewesen wäre, hätte es bedeutet, daß die Strategien des Kontinuums versagt hätten, aber er war da. Zwar nicht groß genug für Fujisakis Theorie, daß Inkonsequenzen auftauchen, wenn der Schlupfverlust, der sie verhindern könnte, größer ist, als das Netz verkraften kann. Das Netz hätte ohne weiteres fünfzehn Minuten Verlust verkraften können, und mehr hätte es nicht gebraucht, um die Inkonsequenz zu verhindern. Die logische Folgerung aus alledem war also, daß das Netz wollte, daß Verity genau in diesem Moment durchkam…«
»Willst du damit sagen, daß das Kontinuum geplant hatte, daß ich Prinzessin Arjumand rette?« fragte Verity.
»Ja«, sagte ich. »Damit wir denken sollten, daß du eine Inkonsequenz erzeugt hättest, die wir korrigieren müßten, so daß wir eine Seance arrangierten, damit Tossie nach Coventry fahren, des Bischofs Vogeltränke sehen und in ihr Tagebuch schreiben konnte, daß diese Erfahrung ihr Leben von Grund auf verändert hatte…«
»Und Lady Schrapnell es lesen konnte«, sagte Verity. »Und beschließen, die Kathedrale von Coventry wiederaufzubauen und mich nach Muchings End zu senden, um herauszufinden, was mit des Bischofs Vogeltränke passiert war, damit ich die Katze retten konnte…«
»Damit ich geschickt wurde, sie zurückzubringen, und bei Blackwell’s eine Unterhaltung über Detektivromane belauschte und eine Nacht in einem Turm verbrachte…«
»Und das Rätsel um des Bischofs Vogeltränke löste«, sagte Mrs. Bittner. Sie erhob sich, um zur Treppe zu gehen. »Eigentlich bin ich froh darüber, daß Sie es geschafft haben.« Sie erklomm uns voran die steilen Stufen. »Nichts liegt einem so schwer auf der Seele wie das Gewicht eines geheimen Verbrechens.«
Sie öffnete die Dachbodentür. »Es wäre sowieso über kurz oder lang aufgeflogen. Mein Neffe bearbeitet mich schon die ganze Zeit, daß ich in eine eingeschossige Wohnung ziehen soll.«
In Büchern und Videos sind Dachböden immer ein malerischer Platz, mit einem Fahrrad, ein paar großen Hüten mit Federbüschen, einem alten hölzernen Schaukelpferd und natürlich einem Überseekoffer, in dem der letzte Wille oder die Leiche verstaut werden kann.
Auf Mrs. Bittners Dachboden lagerte kein Koffer und kein Schaukelpferd, zumindest so weit ich sah.
»Mein Gott!« Mrs. Bittner schaute sich bestürzt um. »Ich befürchte, das sieht mehr nach Das Sittaford-Rätsel aus als nach Der entwendete Brief.«
»Agatha Christie«, erklärte Verity. »Niemand bemerkte den Beweis, weil er in einem Schränkchen mit Golfsachen, Tennisschlägern und einer Menge Krimskrams versteckt war.«
Einer Menge Krimskrams war milde ausgedrückt. Der Raum war bis unter die niedrigen Dachsparren vollgestopft mit Kartons, ineinandergestapelten Gartenstühlen, alten Kleidern, die an einem aus der Wand ragenden Rohr hingen, Puzzles vom Grand Canyon und der Marskolonie, einem Crocketset, Sqashschlägern, verstaubtem Weihnachtsschmuck, Büchern und einer
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