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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Sammlung von mit Bettlaken verhüllten Möbeln, alles in waghalsiger Manier aufeinandergetürmt.
    »Können Sie mir diesen Stuhl reichen?« Mrs. Bittner wies auf eine Scheußlichkeit aus Piastiform aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die auf einer Waschmaschine thronte. »Ich kann nicht lange stehen.«
    Ich holte den Stuhl herunter, befreite ihn von einer Mauerkelle und einigen Kleiderbügeln, die sich in seinen Aluminiumbeinen verhakt hatten, und staubte ihn für sie ab.
    Sie setzte sich vorsichtig. »Danke«, sagte sie. »Geben Sie mir bitte diese Blechschachtel.«
    Wie geheißen gab ich sie ihr, und sie stellte sie neben sich auf den Boden. »Und die großen Pappkartons dort – schieben Sie sie zur Seite. Die Koffer auch.«
    Das tat ich, und Mrs. Bittner erhob sich und ging durch den schmalen Gang, den ich durch das Verschieben der Gegenstände geschaffen hatte, ins Dunkle.
    »Machen Sie eine Lampe an«, befahl sie. »Dort drüben ist eine Steckdose.« Sie wies auf die Wand hinter einer mächtigen Apidistrapflanze aus Plastik.
    Ich griff nach der nächstbesten Lampe, einem massiven Ding mit einem riesigen plissierten Schirm und einem wuchtigen, ziselierten, schmiedeeisernen Fuß.
    »Nicht die«, sagte Mrs. Bittner rasch. »Die rosafarbene.« Sie zeigte auf eine große Lampe mit Fransenschirm aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich steckte den Stecker in die Dose und machte die Lampe an, aber viel Erfolg hatte es nicht. Sie beleuchte ihre Fransen und Veritys Waterhouse-Gesicht, aber sonst kaum etwas.
    Mrs. Bittner dachte das anscheinend auch. Sie ging zu der schmiedeeisernen Lampe. »Der maskierte Mörder«, murmelte sie. Verity beugte sich vor. »Der Beweis, der als etwas anderes maskiert ist«, flüsterte sie.
    »Genau.« sagte Mrs. Bittner und hob den plissierten Schirm hoch, der des Bischofs Vogeltränke verdeckte.
    Zu schade, daß Lady Schrapnell nicht hier war. Und Carruthers. Die ganze Zeit, die wir damit zugebracht hatten, in den Trümmern nach des Bischofs Vogeltränke zu suchen, und hier war sie. Fortgeschafft worden, um sie zu retten, wie Carruthers vermutet hatte, und tatsächlich war nicht eine einzige Schramme an ihr. Das Rote Meer teilte sich immer noch; Frühling, Sommer, Herbst und Winter hielten immer noch ihre jeweiligen Girlanden aus Apfelblüten, Rosen, Weizen und Holunder hoch; das Haupt Johannes’ des Täufers lag immer noch auf dem Tablett und starrte vorwurfsvoll auf König Artur und die Ritter der Tafelrunde. Griffons, Mohnblumen, Ananas, Puffins, die Schlacht von Prestopans, alles noch intakt und nicht einmal staubig.
    »Lady Schrapnell wird überglücklich sein«, sagte Verity. Sie zwängte sich in den engen Gang und ließ sich auf die Knie nieder, um besser zu sehen. »Gütiger Himmel! Diese Seite muß zur Wand gezeigt haben. Was soll das sein? Fächer?«
    »Venusmuscheln. Die Namen bedeutender Seeschlachten sind in sie eingraviert«, erklärte ich. »Lepanto, Trafalgar, die Schlacht der Schwäne.«
    »Schwer vorstellbar, daß dieses Ding den Lauf der Geschichte ändern wollte«, sagte Mrs. Bittner und betrachtete Shadrach, Meshach und Abednego, die drei Jünglinge im Feuerofen. »Sie ist mit der Zeit nicht schöner geworden, stimmt’s? Das Albert Memorial auch nicht.«
    »Mit dem es eine Menge gemeinsam hat.« Verity berührte einen schmiedeeisernen Elefanten.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich und legte den Kopf schief, um die Vase seitlich zu betrachten. »Langsam gewöhne ich mich irgendwie dran. Ich find’s schon fast hübsch.«
    »Zeitkrankheit«, sagte Verity zu Mrs. Bittner. »Ned, der Elefant trägt einen Howdah voller Ananas und Bananen zu einem Adler mit einer Fischgabel.«
    »Das ist keine Fischgabel«, erwiderte ich. »Das ist ein Flammenschwert. Und es ist kein Adler, sondern ein Erzengel, der den Eingang des Paradieses bewacht. Oder den Zoo.«
    »Es ist wirklich scheußlich«, sagte Mrs. Bittner entschieden. »Ich weiß nicht, wo damals meine Gedanken waren. Wahrscheinlich auch die Zeitkrankheit, nach den vielen Sprüngen. Außerdem war überall Rauch.«
    Verity drehte sich um und starrte erst Mrs. Bittner an und dann mich. »Wie oft sind Sie gesprungen?« fragte sie.
    »Viermal«, entgegnete Mrs. Bittner. »Nein, fünf. Der erste zählte nicht. Da kam ich zu spät durch. Das ganze Kirchenschiff war voller Rauch und ich hätte fast eine Rauchvergiftung bekommen. Ich habe bis heute Probleme mit meiner Lunge.«
    Verity starrte sie immer noch ungläubig an. »Sie sprangen

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