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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Stein dreimal um‹. Hilf mir mal.« Ich zeigte auf das eine Ende eines großen Steins.
    Er beugte sich hinab und packte das andere Ende.
    »Eins, zwei, drei«, sagte ich, »hoch!«, und wir wuchteten den Stein in den Gang, wo er weiterrollte, in die noch stehenden Überreste einer Säule hinein und diese dadurch endgültig zum Einsturz brachte.
    Des Bischofs Vogeltränke befand sich nicht unter dem Stein, aber der schmiedeeiserne Pfosten, auf dem sie gestanden hatte, sowie eine der Verstrebungen der Chorschranke und, unter einem Brocken roten Sandsteins, ein halbverkohlter Blumenstengel. Es war nicht mehr zu erkennen, was für eine Art Blume es gewesen war, weil nicht einmal mehr ein einziges Blatt am Stiel hing, und es hätte genausogut ein Stecken oder ein eiserner Stab sein können, wenn nicht an dem einen Ende ein paar Millimeter Grün zu erkennen gewesen wären.
    »Die Vogeltränke stand vor einer Schranke?« Glas knirschte unter Carruthers’ Füßen.
    »Vor dieser Schranke. [3] Auf diesem Pfosten«, entgegnete ich und zeigte auf den schmiedeeisernen Pfosten. »So auch am neunten November bei der Andacht für die Royal Air Force und dem anschließenden Backwarenverkauf des Luftschutzes. Genauso wie zwei gehäkelte Sofaschoner, ein Federhalterwischer in Stiefmütterchenform und ein halbes Dutzend Marmorkuchen, alle äußerst liebevoll verziert.«
    Carruthers betrachtete das Glas zu seinen Füßen. »Könnte die Explosion die Vogeltränke in einen anderen Teil des Kirchenschiffes geschleudert haben?« fragte er.
    »Was die Kathedrale zerstörte, war kein Sprengstoff. Es waren Brandbomben.«
    »Oh«, sagte er. Er schaute zu dem Kirchendiener hin, der auf uns zukam. »Was sagst du – die Bibel von Königin Victoria?«
    »Ja. Komplett mit allen Geburten, Todesfällen und Nervenzusammenbrüchen sämtlicher Georges«, entgegnete ich. »Finde heraus, ob irgend etwas vor dem Angriff von hier fortgeschafft wurde, außer nach Lucy Hampton.«
    Er nickte und ging zu dem Kirchendiener zurück, und ich stand da und schaute den schmiedeeisernen Pfosten an. Was tun?
    Der überwiegende Teil der Bomben, welche die Kathedrale getroffen hatten, waren Brandbomben gewesen, aber Carruthers hatte recht. Erschütterungen konnten verschiedenste Dinge bewirken, und es hatte eine gewisse Anzahl Explosionen in der Nachbarschaft gegeben, von Sprengstoff bis zu Hauptgasleitungen, die in die Luft flogen. Des Bischofs Vogeltränke mochte davon in den Hauptgang der Kirche oder ins Chorgestühl geschleudert worden sein.
    Ich räumte noch mehr Mauerwerk fort, um zu sehen, in welche Richtung das Glas der Draperschen Kapelle geflogen war. Das meiste schien sich südlich und westlich verstreut zu haben. Ich sollte mich besser in eine andere Richtung orientieren, zurück zum hinteren Teil des Kirchenschiffes.
    Ich kehrte zu der Chorschranke zurück und begann, südlich und westlich davon zu graben. Jeder Stein wurde umgedreht.
     
    Die Glocken begannen den Abend zu läuten, und wir alle, sogar Mr. Spivens, verharrten und schauten zu dem Spitzturm hoch. Weil das Dach fehlte, konnten wir den Turm sehen, der sich unversehrt über dem Rauch und dem Staub erhob. Die Glocken klangen wunderbar, von der Zerstörung um uns herum völlig unberührt.
    »Schau, dort ist ein Stern«, sagte Carruthers.
    »Wo?« fragte ich.
    »Dort.« Er zeigte hoch.
    Alles, was ich sah, war Rauch. Ich sagte ihm das.
    »Dort«, sagte er. »Über dem Spitzturm. Über dem rauchigen Bahrtuch des Krieges, über den Ruinen der Zerstörung. Unberührt von des Menschen Unmenschlichkeit gegen seinen Nächsten, ein hoher Herold der Hoffnung und Schönheit, der besseren Zeiten, die kommen mögen. Das funkelnde Symbol einer Befreiung, die noch nicht am Horizont aufgetaucht ist.«
    »Aufgetaucht? Am Horizont?« Ich schaute ihn besorgt an. »Ein hoher Herold der Hoffnung und Schönheit?«
    Eines der ersten Symptome der Zeitkrankheit ist rührselige Sentimentalität, wie sie ein Ire besitzt, der zu tief ins Glas geschaut hat, oder ein stocknüchterner victorianischer Dichter. Carruthers hatte seit dem Vortag mindestens vier Sprünge hinter sich, zwei von ihnen im Abstand von nur wenigen Stunden, und wer weiß, wie viele während seiner Forschungen über die Orgelpfeifen. Er hatte selbst gesagt, daß er überhaupt nicht geschlafen habe.
    Ich runzelte die Stirn und versuchte, mir die Liste der Symptome ins Gedächtnis zu rufen. Rührseligkeit, Sentimentalität, Schwierigkeiten, Laute zu

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