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Die Farm am Eukalyptushain

Die Farm am Eukalyptushain

Titel: Die Farm am Eukalyptushain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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wehte zum Fenster herein, und sie schloss die Augen. Tosca war eine Oper mit großen Herausforderungen – sehr dramatisch, dunkel und voller Leidenschaft. Sie hatte zwar schon großen Beifall für die Rolle bekommen und galt als die beste Floria ihrer Generation, aber die ständigen Termine machten sie hektisch, und nach so vielen Jahren in diesem Beruf hatte sie den Hunger verloren.
    Bei dieser verblüffenden Erkenntnis öffnete sie die Augen. War das der Grund für ihre dauernde Müdigkeit? Verlor ihre Stimme deshalb allmählich an Textur und Klarheit? Sie stand auf, ging zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zurück. Die Sonne flutete herein, und Catriona schaute hinaus auf den Pool. Die Veränderungen in ihrer Stimme waren subtil – so subtil, dass sie bisher die Einzige war, die sie bemerkte, aber sie wusste, dass sie im Gange waren. Sie hörte sie jedes Mal, wenn sie um die Vollkommenheit rang, die einmal mühelos zu erreichen war. »Wie viel Zeit habe ich noch?«, flüsterte sie.
    Sie tappte in die Küche und brühte sich eine Tasse Tee auf, aber ihre Gedanken kreisten weiter. Das Leben auf der Bühne war auch unter günstigen Umständen eine unsichere Angelegenheit; sie hatte Glück gehabt, aber wie lange würde sie ihren Status noch halten können? Neue Diven standen bereits mit ihr im Rampenlicht: die königliche Joan Sutherland aus Australien beispielsweise und die umwerfende Neuseeländerin Kiri te Kanawa, die nach ihrem Auftritt im London Opera Centre soeben ihre erste Schallplatte aufgenommen hatte.
    Sie nahm einen Schluck Tee und starrte ins Leere. Sie war immer noch eine Diva, immer noch hoch geachtet, geliebt und begehrt. Aber wie lange würde es noch so bleiben? Sie war fast fünfzig, und da sie so jung angefangen hatte, würde ihre Stimme sie bald im Stich lassen. Und dann? Bei dem Gedanken an den Ruhestand wurde Catriona starr vor Angst. Was würde sie tun? Womit würde sie ihre Zeit verbringen? Belvedere war ihr Zuhause, der Ort, nach dem sie sich sehnte, wenn sie nicht dort war. Aber sie war realistisch genug, um zu wissen, dass die Farm weit von den Lichtern der Großstadt entfernt war – eine ganz andere Welt als die Dramatik der Oper und die faszinierenden Reisen um die Welt. Wie lange würde es dauern, bis sie genug hätte von der endlosen Weite, der Einsamkeit, dem Alltagstrott auf einer Rinderfarm?
    Vielleicht könnte sie pendeln? Mit ihrem Geld war eine Akademie in Melbourne finanziert worden, die auch Stipendien an mittellose Studenten zu vergeben hatte. Dort könnte sie unterrichten und junge Talente fördern. Aber auch dann würde sie den elektrisierenden Reiz der Auftritte vermissen, den Adrenalinstoß beim Erscheinen auf einer großen Bühne vor einem dankbaren Publikum. Natürlich könnte sie Schallplatten aufnehmen und Gastrollen singen, doch das würde sie nicht zufrieden stellen. Alles oder nichts, das war immer ihre Devise gewesen. Wenn sie sich zur Ruhe setzte, wäre es zu Ende. Das musste so sein, denn sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließe, dass sie sich in eine wahrnehmungsgestörte Diva verwandelte, die noch im hohen Alter jede barmherzig angebotene Rolle akzeptierte, weil sie es nicht ertragen konnte, nicht mehr aufzutreten.
    Catriona blinzelte und schob die düsteren Gedanken beiseite. Noch war es nicht vorbei. Sie war der Star in Tosca , in ihrer berühmtesten Rolle, und die hatte man ihr nicht aus Mitleid angeboten. Sie war einfach müde und brauchte ein wenig Ruhe. Morgen würde die Welt wieder anders aussehen. Vielleicht sollte siedie zwei Tage Pause nutzen, um nach Belvedere zu fliegen und Poppy zu besuchen. Es wäre schön, sie wiederzusehen. Der letzte Besuch war sehr kurz gewesen.
    Die Briefe lagen noch auf dem Tisch, wo Catriona sie hingeworfen hatte. Sie blätterte in dem Stapel, bis sie etwas fand, das interessant aussah. Der große Umschlag war von unbekannter Hand adressiert und aus Sydney nachgeschickt worden. Sie riss ihn auf.
    Ihr eigener Brief fiel heraus. Er steckte noch im Umschlag, aber der war geöffnet worden. Catrionas Hände fingen an zu zittern. Es lag kein Begleitbrief dabei. Sie starrte die Handschrift auf dem Umschlag an. War ihr Brief gelesen oder war er nach einem kurzen Blick ignoriert worden? Aber die Rücksendung an sich war eine beredte Botschaft. Ihre Tochter wollte nichts mit ihr zu tun haben.
    »Ich habe zu lange gewartet und gesucht, um mich jetzt abweisen zu lassen«, murmelte sie. »Ich werde noch einen Brief schreiben

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