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Die Farm am Eukalyptushain

Die Farm am Eukalyptushain

Titel: Die Farm am Eukalyptushain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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das blanke, polierte Holz, bevor sie die Tasten berührte. Der Klang war wunderbar klar und volltönend – ganz anders als bei dem alten Klavier, auf dem sie gelernt hatte, und sogar besser als bei dem Flügel in Dimitris Hotel.
    Sie schob den Gedanken an Dimitri beiseite. Er gehörte zu ihrem alten Leben, und wenn sie in ihrem neuen bestehen wollte, musste sie sich jetzt konzentrieren. Sie strich mit dem Finger über die Tasten und dachte an die vielen Unterrichtsstunden mit ihrer Mutter. Sie setzte sich und fing an zu spielen. Anfangs waren ihre Finger ein bisschen steif, aber als sie die anderen übenhörte, wurde sie zuversichtlicher. Sie sang ihre Tonleitern, und ihre Stimme gewann mehr und mehr Kraft und hallte bis unter die hohe Decke hinauf.
    Nur ein paar Minuten schienen vergangen zu sein, als Peter die Tür öffnete. »Es ist Zeit«, sagte er.
    Sie folgte ihm die Treppe hinauf in einen anderen großen Raum. Er hatte die gleichen hohen Fenster, aber er war nicht leer. An einem Ende stand ein langer Tisch, und dahinter saßen zehn Leute. Am anderen Ende saß eine stämmige Frau an einem Flügel. Catriona machte einen Knicks vor den Prüfern. Sie konnte kaum atmen und verschränkte die feuchten Hände auf dem Rücken. Peter hatte auf einem Stuhl am Rande Platz genommen und nickte ihr aufmunternd zu.
    »Wie alt bist du, mein Kind?«, fragte der bärtige Gentleman, der in der Mitte des Prüfertisches saß, und spähte sie über halbmondförmige Brillengläser hinweg an.
    »Fünfzehneinhalb, Sir«, sagte sie mit zitternder Stimme.
    Er lehnte sich zur Seite und sagte leise etwas zu seiner Nachbarin. Dann sah er sie wieder an. »Und was wirst du für uns singen?«
    »Mi chiamano Mimi« , sagte sie. »Aus La Bohème von Puccini.« Sie errötete, als die Prüfer einander lächelnd anschauten. Natürlich wussten sie, von wem diese Oper war. Wie dumm von ihr. Mit zitternden Knien ging sie zum Flügel, und ihre Gedanken wirbelten in alle Richtungen zugleich. Sie hatte den Text vergessen, konnte sich an die Phrasierung nicht erinnern, und die ersten Takte der Melodie wollten ihr auch nicht einfallen. Wenn Mam doch nur mitgekommen wäre!
    Dann sah sie das Lächeln der Pianistin und ihr aufmunterndes Kopfnicken. Ihre Hände schwebten über den Tasten, und Catriona holte tief Luft. Der Text fiel ihr plötzlich wieder ein, und bald verlor sie sich in Mimis Welt der gestickten Blumen, die das schwindsüchtige Mädchen aus ihrer engen Kammer in die Felder und Wiesen vor dem Pariser Quartier Latin versetzten.
    Als der letzte Ton verklang, sprach der ältere Gentleman wieder. »Danke, mein Kind. Würdest du jetzt bitte draußen warten?«
    Catriona warf einen Blick zu Peter hinüber. War sie durchgefallen? Würden sie sie ablehnen? Sie sah sich nach den zehn Leuten am Tisch um. Sie waren in ein gedämpftes Gespräch vertieft und hatten sie anscheinend schon vergessen.
    Peter führte sie hinaus und ließ sie draußen im breiten Flur auf einem Stuhl Platz nehmen. »Es wird nicht lange dauern«, sagte er leise. »Aber sie haben viel zu besprechen. Die Schule ist groß, und es gibt nur sehr wenige Stipendien für Schüler, die sich die Gebühren nicht leisten können. Sie müssen sicher sein, dass sie die richtige Entscheidung treffen. Du bist nicht die Einzige, die heute vorgesungen oder vorgespielt hat.«
    Jetzt erst sah Catriona, dass noch andere junge Leute im Flur warteten, mehrere Jungen und drei Mädchen. Einige hatten Instrumente, andere hielten Noten in den Händen. Alle waren blass und ernst und genauso bang wie sie. Sie schaute das Mädchen gegenüber an – ein hübsches Mädchen mit blondem Haar und blauen Augen und einem Kleid, das ein Vermögen gekostet haben musste – und lächelte. Das Mädchen musterte sie kühl, und nach einem kurzen, abschätzigen Blick auf Catrionas schäbige Kleidung wandte sie sich ab. Doch der Junge mit der Geige neben ihr grinste, und gleich ging es Catriona ein bisschen besser.
    »Wollen die alle ein Stipendium?«, fragte sie Peter flüsternd. Einige hier sahen nicht aus, als wären sie arm, vor allem nicht das blonde Mädchen.
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist der Anfang des neuen Schuljahrs«, antwortete er leise. »Sie suchen sich die neuen Schüler unter den Abgängern anderer Akademien und Musikschulen aus.«
    Das Warten schien eine Ewigkeit zu dauern. Einer nach dem anderen wurden die Bewerber wieder hineingerufen. Wenn sie wieder herauskamen, sah man ihnen am Gesicht an, ob sie

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