Die Farm am Eukalyptushain
alltägliches Leben zu führen. Sie war ein Star der Bühne und stand zwangsläufig abseits der normalen Sterblichen.
Catriona schaute in die veilchenblauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern und wünschte, sie könnte ihrer Mutter anvertrauen, was sie dachte. Doch sie wusste, Velda würde solche Gedanken als kindliche Tagträume abtun, als den Wunsch nach etwas Unerlebtem, der nur Enttäuschung bringen würde, wenn er sich plötzlich verwirklichte. »Wann kommen wir denn wieder her?«, fragte sie.
Velda zuckte mit den Schultern. »Bald«, sagte sie, aber sie war mit den Gedanken offensichtlich woanders. Sie nahm Catriona bei der Hand. »Jetzt komm, sonst fahren die Wagen noch ohne uns ab.«
Catriona trat zur Seite und wich der ausgestreckten Hand aus. Sie wollte einen letzten Blick auf die kleine Farm werfen, die sich in das Tal schmiegte. Von Eukalyptusbäumen geschützt und umgeben von Außengebäuden, wirkte sie behaglich und einladend – wie ein echtes Zuhause.
Die hohen Berggipfel der Great Dividing Range erschienen als violetter Streifen am Horizont, der Himmel war klar, und auf ihrem Felsvorsprung oberhalb des Tals hörte Catriona das Rauschen des nahen Wasserfalls. Pferde und Rinder weideten im hohen gelben Gras unter ihr, und die weißen Zäune strahlten hell im Sonnenlicht. Aus dem Kamin stieg Rauch auf, Wäsche wehte an einer Leine im Wind. Catriona atmete tief durch, kämpfte dieTränen nieder und gelobte sich, eines Tages wieder herzukommen und nie mehr fortzugehen.
Widerstrebend wandte sie sich ab und folgte ihrer Mutter über den steinigen Boden und zwischen den Büschen hindurch zu der Lichtung, auf der sie am Abend zuvor ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie verbarg ihre Enttäuschung und half ihrer Mutter rasch, den Rest ihrer Habe in den Wagen zu laden.
Declan Summers hatte Jupiter, das stattliche Zugpferd, schon vor den Wagen gestellt, und das schwarze Haar fiel ihm in die Augen, während er die dicken Ledergurte festschnallte. »Kitty, mein Schatz«, dröhnte er, »ich dachte schon, du hättest uns verlassen.«
Lachend hob sie den letzten Korb auf den Wagen. »Noch nicht, Dad«, antwortete sie.
Er ging zu ihr herüber, legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich. »Ich bin froh, dass dieser Tag noch auf sich warten lässt«, erklärte er und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Was sollte ich ohne mein bestes Mädchen anfangen?«
Lächelnd vergrub Catriona das Gesicht an seinem Hemd und atmete den wunderbaren Duft ihres Vaters ein: scharfe Seife, Tabakrauch und Haaröl – die Essenz des Mannes, den sie anbetete. Ihre Eltern waren traurig darüber, aber sie war in diesem Augenblick froh, dass sie keine Geschwister hatte.
Declan ließ seine Tochter wieder los, wandte sich den anderen Mitgliedern der fahrenden Truppe zu und trat in die Mitte des Lagerplatzes. »Auf nun, lasst zur Tat uns schreiten«, rief er, »frisch entgegen dem Geschick: neues Streben, neue Zeiten.«
Catriona klang das Longfellow-Zitat, das ihr Vater so liebte, nur allzu vertraut in den Ohren; obwohl er es jedes Mal rief, wenn sie zu einer neuen Stadt aufbrachen, weckte seine Stimme jedes Mal ein neues Kribbeln der Erregung in ihr, weckte die Lust am Abenteuer ihres Lebens und ließ die Sehnsucht nach Sesshaftigkeit für einen Augenblick verstummen.
Es waren jetzt nur noch vier Wagen, und Catriona saß mit ihren Eltern auf dem Bock des vorderen, als die Prozession langsam vom Lagerplatz rollte. Die Truppe war ihre Familie – eine sich stets wandelnde, inzwischen geschrumpfte Familie von Männern und Frauen, welche die Leidenschaft ihres Vaters für die Bühne teilten: Jongleure, Musiker, Sänger, Tänzerinnen, Feuerschlucker und Akrobaten –, allesamt bereit, in vielfältigen Rollen aufzutreten und ihre verschiedenen Talente leuchten zu lassen.
Catriona richtete sich auf die Reise ein. Der Stolz auf ihre Familie erwärmte ihr Herz. Dad konnte singen und rezitieren und das Publikum mit seinen komplizierten und geschickt aufgebauten Einführungen zu jedem Akt in neue Begeisterung versetzen. Mam war Sopranistin und der eigentliche Star der Show und die Einzige, die nicht im Chor mitsingen oder dem Magier assistieren musste.
Catriona hatte schon früh gelernt, dass man von ihr erwartete, sich an der Unterhaltung des Publikums zu beteiligen, und auch wenn ihr bei dem Gedanken, auf die Bühne zu treten, manchmal übel wurde, hatte sie die Tänze gelernt, die Poppy ihr beigebracht hatte.
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