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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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oder dem mittelalterlich mit Talar und Perücke aufgemachten
›Doktor‹ gab es alle möglichen Arten festgelegter Verkleidungen, unter denen
die häufigste und populärste der ›Bajass‹ war — als Wort von Bajazzo stammend
und auch durchweg in dessen mehlweißer, weitgebauschter, spitzkappiger und mit
farbigen Pompons verzierter Tracht — , während es, besonders bei Kindern, noch
die Spielart des ›Schnippelbajass‹ gab, dessen Kostüm einfach darin bestand,
daß man auf einen alten Anzug unzählige Schnitzeln aus farbigem Glanzpapier wie
ein Papagenogefieder aufgenäht hatte. Diese Narrensorte hatte auch die Aufgabe
des ›Klepperns‹, mit einem eigens dafür erfundenen Instrument, einem in die
Hand eingepaßten schmalen Stück Hartholz, an dem rechts und links an elastisch
schwingenden Metallstäbchen zwei Bleikugeln angebracht waren. Das harte, rhythmische
Kleppern, das gelernt und gekonnt sein mußte, schepperte denn auch überall
durch die Stadt, vom schrillen oder nasalen, kreischenden oder trillernden,
langgezogenen oder stoßweisen Tuten, Heulen und Quietschen aus allen Spielarten
von Kindertrompeten oder Schweinsblasen untermischt.
    Die beiden Mädchen hatten Jeanmarie in
die Mitte genommen, sie hatten sich an einem Verkaufsstand mit komischen
Hutfedern und närrischen Abzeichen versehen und zogen, die Arme fest ineinander
eingeklammert, mitten durch das Maskengetriebe am Marktplatz und auf der
Ludwigstraße, wobei die Geschwister versuchten, der von dem ungeheuren Trubel
ganz verwirrten Viola so viel wie möglich von den spaßhaften Gepflogenheiten zu
erklären und beizubringen. Es wollte aber Jeanmarie erscheinen, daß die
Sizilianerin nicht nur vom Ansturm ungewohnter Eindrücke überwältigt, sondern
in Wirklichkeit gar nicht bei der Sache war, gar nicht ganz anwesend, oder zum
mindesten in sprunghaften Intervallen seiner und jeder Gegenwart entgleitend
oder sich entziehend, bald ganz in sich selbst versponnen, bald von einer
geradezu angstvollen oder gehetzten Anstrengung ihres Innern erschöpft. Schon
am Vorabend, als er sie bei seinen überraschten Eltern und ihrer Gesellschaft
eingeführt und sich dann betreuend an ihrer Seite gehalten hatte, fühlte er
sich von dieser merkwürdigen Abwesenheit, oder Nichtanwesenheit, ihrer Person
wie von etwas Krankem, gefährlich Unfaßbarem, fast Gespenstischem, irritiert
und beunruhigt, gleichzeitig erregt und angezogen. Jetzt aber, inmitten der
kindlich-übermütigen Kapriolen des Fastnachtstreibens, glaubte er mehr und mehr
in ihren Blicken ein rastloses, angespanntes Herumsuchen zu bemerken, manchmal
wandte sie sich plötzlich hart um und folgte irgendeiner maskierten Männergestalt
oder auch einem unkenntlich vermummten Bub mit weit aufgerissenen Augen, als
erwarte sie, jemanden zu erkennen oder wiederzufinden.
    Als sie, vom unablässigen Gedränge
ermüdet, von der Ludwigstraße in eine stillere Seitengasse zum Ballplatz hin
einbogen, begab sich etwas Erstaunliches. Einer jener ›Bauern‹, irgendein
kleiner untersetzter Kerl mit vornübergeneigtem, etwas schwankendem Gang —
vielleicht hatte er schon einen Frühschoppen hinter sich — , kam zufällig an
der Straßenecke so dicht an die jungen Leute heran, daß er sie fast anrempelte,
wobei er, um die jungen Mädchen zu schrecken, das zu seiner Bauernrolle
gehörende, unartikulierte Narrengeheul in heiseren Kopftönen ausstieß und aus
seinem Kittel heraus heftig mit den Händen fuchtelte, so daß er fast aussah wie
ein im Bellen hochspringender Hund. Fast im gleichen Augenblick schon wandte er
sich wieder von ihnen ab und stürzte sich mit tolpatschigen Sätzen ins
Menschengewühl. Viola aber hatte laut aufgeschrien, und es war Jeanmarie, als
sei es nicht ein Laut des Erschreckens oder der Angst, sondern ein — im Lärm
unverständlicher — Name gewesen, der ihr entfahren war, gleichzeitig riß sie
sich mit einer wilden Bewegung von seinem Arm los und versuchte, der schon über
die Straße verschwundenen Gestalt nachzurennen... Mit Mühe gelang es ihm, ihr
zu folgen und sie, fast mit Gewalt, zurückzuzerren. Sie schien ganz von Sinnen
und wäre sonst von einer der im Polkaschritt heranstürmenden Maskenreihen mit-
oder umgerissen worden.
    Bettine stand an einen Laternenpfahl
angeklammert und schüttelte sich vor Lachen. Sie hatte Violas heftige Reaktion
für einen Ausbruch temperamentvollen Zorns oder Ärgers gehalten, weil der
›Bauer‹ sie mit seinen fuchtelnden Armen berührt und

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