Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
Vom Netzwerk:
stummen Ringkampf daran hindern wollte,
eine schallende Ohrfeige. Dann zog sie den Schlüssel ab, steckte ihn in ihr
Korsett und ging zum Telefon, um die Polizei anzurufen. Rosa weinte.
     
     
    A m Fastnachtsonntag änderte sich das
Wetter. Schon in der Frühe, als die närrische Reveille mit Pfeifenmusik und
Trommelschlag durch die Straßen zog, hatte es aufgehört zu regnen, bald glänzte
das zarte seidige Licht eines umschleierten Sonnenaufgangs auf dem feuchten
Pflaster, und als es zusammenläutete, spiegelte sich ein vorfrühlingshaft
glasgrüner Himmel in den bräunlich zum Ufer schäumenden, hochgehenden Wellen
des wintergeschwollenen Rheins. Jeanmarie, Bettine und Viola standen ganz vorn
an der Spitze des kleinen Dampfschiffs, das stromauf unter der neuen
Kaiserbrücke hindurch zum städtischen Landeplatz stampfte, der leichte weiße
Wind umzüngelte ihre jungen Gesichter, der scharfe Duft des Rheinwassers
durchfeuerte sie wie ein starkes, reines Getränk. Alle Fremdheit oder
Verlegenheit zwischen den dreien war von dem gemeinsamen Empfinden dieser
schwerelosen Morgenfrische wie weggeblasen. Heitere Zurufe, den Maschinenlärm
des Dampfers und das zischende, schleifende Rauschen der Kielwellen übertönend,
flogen zwischen ihnen wie Bälle hin und her.
    Goldene Ströme von Glockengeläut aus
den vielen Pfarrkirchen vermischten sich und wogten über der Stadt. Die jungen
Leute hatten vor, das Hochamt im Dom zu besuchen, den Viola noch nie von innen
gesehen hatte, und sich dann gegen Mittag das Maskentreiben in den sonntägigen
Straßen anzuschauen.
    Dieser Sonntag, als leichter
Vorgeschmack eines drei Tage lang ansteigenden und mit steigender Lust
genossenen Volksfestes, war hauptsächlich der Jugend gewidmet, während der
Montag mit dem großen, immer von gleicher Neugier erwarteten Fastnachtszug, und
der Dienstag mit einem traditionellen Blumen- und Apfelsinenkorso in
geschmückten Kutschen, die ›Kappefahrt‹ genannt, sowie die am Montag und
Dienstag abend stattfindenden populären Maskenbälle ein enormes
Leistungsvermögen an geselliger Lustbarkeit von allen Altersklassen
erheischten.
    Jetzt aber, bald nach der Kirchzeit,
zogen maskierte junge Leute beiderlei Geschlechts in bunten Reihen durch die
größeren Straßen der Stadt, allen Fährverkehr sperrend — verlarvte Kinder
tobten in kleineren Trupps umher, um unmaskierte Erwachsene, besonders wenn sie
Respektpersonen wie Großväter oder Schullehrer erwischten, mit ihren harmlosen
Papierpritschen auf den Rücken zu klatschen, sie mit Konfetti zu überschütten
oder mit Rosenwasser anzuspritzen, wobei man sie mit verstellter, hoher
Kopfstimme bei ihren Spitznamen rief. Die Ludwigstraße, der breite ›Boulevard
de Mayence‹, war durch die in hüpfendem Tanzschritt einander folgenden
Maskenketten von einem Trottoir zum anderen geradezu blockiert, während
maskierte Einzelgänger sich einen Sport daraus machten, die mit den Armen
ineinander verflochtenen Marschreihen zu durchbrechen und in Verwirrung zu
bringen.
    Die billigste und kommunste Maske war
der ›Bauer‹, sie bestand in nichts als einem weiten blauen Kittel, der über
alle Kleidungsstücke gestreift werden konnte, und einer groben, gleichsam
gedunsen glotzenden Gesichtslarve mit Zipfelmütze. Die ›Bauern‹ waren
gefürchtet und standen im Verruf der Roheit, und die Mädchen liefen gern vor
ihnen weg, denn sie trugen manchmal kleine Fuhrmannspeitschen oder harte
Holzpritschen statt der üblichen, gefächerten Klatschen aus Papiermache. Aus den
Mundöffnungen ihrer Larven, die vom vielen Schreien schon speichelfeucht
verweicht waren, drang oft mit schlechtem Atem und dem Geruch von Leim und
Farbe ein Schwall wüster Worte. Denn sie fühlten sich eben, in ihrer
Bauernrolle, auch zu sprachlicher Derbheit verpflichtet.
    Sonst aber waren Roheit und
Gewöhnlichkeit fremd und verpönt, das Vulgäre oder Obszöne hatte innerhalb der
unbeschränkten Freiheit und der ansteckenden, kindlichen Lustigkeit dieser
Maskentage keinen Platz: alle Welt, ungeachtet des Standes, arm und reich, hoch
und niedrig, alt oder jung, spielte mit bei dem großen Lust-Spiel der
losgelassenen Geister, der flüchtigen Vermischung, der vertauschten Rollen, der
verrückten Gesetze, und es herrschte im tollsten Durcheinander immer noch eine merkwürdige,
unerzwungene und beinah kulthafte Ordnung.
    Auch die Masken waren nach einer
gewissen archaischen Ordnung typisiert: vom plumpen Bauern bis zum zierlichen
Rokokoprinzen

Weitere Kostenlose Bücher