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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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Pflicht als
Oberstaatsanwalt«, erwiderte Dr. Classen, »auf der Exaktheit der jeweiligen
Benennung zu bestehen, soweit sie mit der Jurisdiktion zu tun hat.«
    Hier erhob sich der junge Rechtsanwalt,
der bisher ziemlich überflüssig dabei gesessen hatte, bat den Oberstaatsanwalt
ums Wort und erklärte dem stumpf dreinschauenden Clemens, daß er für ihn als
einen des Mordes Verdächtigen zum Offizialverteidiger bestimmt worden sei. In
dieser Eigenschaft müsse er ihn darauf aufmerksam machen, daß er nicht verpflichtet
sei, irgendwelche Aussagen zu machen, die im Verlauf des Prozesses zu seiner
Belastung gegen ihn benutzt werden könnten.
    Clemens antwortete nicht und schaute
verständnislos vor sich hin — es war, als sei er in tiefes Nachdenken
versunken.
    »Danke, Herr Levisohn«, sagte der
Oberstaatsanwalt Classen mit einer merkwürdigen Betonung.
    »Dr. Levisohn«, sagte der junge Anwalt.
    »Danke, Herr Doktor Levisohn«,
wiederholte Classen, wobei er den Namen noch ausgeprägter betonte.
    »Herr Doktor genügt«, sagte Levisohn,
der erblaßt war.
    »Das haben nicht Sie zu bestimmen«,
fuhr Classen ihn an.
    »Zur Sache, meine Herren«, mahnte Dr.
Merzbecher und warf dem Oberstaatsanwalt einen unwilligen, fast verächtlichen
Blick zu.
    »Dragoner Clemens Bäumler«, sagte er
dann. »Sind Sie zu einer Aussage bereit?«
    Langsam und schwer erhob sich Clemens
von seinem Stuhl.
    »Jawohl«, sagte er, und blickte in
Richtung seines Wachtmeisters. Dem Kriminalrat entfuhr ein Seufzer der
Erleichterung.
    »Es kann nur zu Ihrem Besten sein«, sagte
er, »wenn Sie hier eine möglichst vollständige, unverhohlene Aussage machen.«
    »Jawohl«, sagte Clemens wieder, und
schwieg.
    »Vielleicht wird es Ihnen leichter«,
sagte Merzbecher, »wenn ich Ihnen einige Fragen stelle.«
    »Jawohl«, antwortete Clemens zum drittenmal
und schien jetzt plötzlich, als habe er den Soldaten in sich zur Verantwortung
gerufen, von einer stillen und aufmerksamen Gefaßtheit zu sein.
    »Wann und wo«, begann Dr. Merzbecher,
»haben Sie Ihren Bruder Ferdinand zum letztenmal lebend gesehen?«
    »Im ›Rote Kopp‹«, antwortete Clemens
ohne Zögern, »am Samstagabend zwischen fünf und sechs.«
    Der ›Rote Kopp‹ war, wie jeder der
Anwesenden wußte, eine populäre Wirtschaft in der Mainzer Altstadt.
    »So«, sagte Merzbecher und nickte
gedankenvoll. »Im ›Rote Koppe Habt ihr euch dort öfters getroffen?«
    »Nein«, sagte Clemens, »er war ja nicht
da. Er war ja — ich habe ihn ja für tot gehalten...« (Er schluckte plötzlich,
nahm sich aber zusammen und fuhr, ungefragt, fort.)
    Vor drei Tagen — also am Freitag vor
Fastnacht — habe er bei der Postverteilung einen Brief bekommen. Er habe sonst,
fügte er hinzu, nie einen Brief bekommen, seit er beim Militär war, drum sei er
gleich erschrocken. Der Brief war vom Ferdinand, und der Ferdinand schrieb
darin, daß er noch lebe und daß er ihn sprechen müsse, er dürfe es aber keinem
Menschen sagen, auch der Mutter nicht, bei seiner Räuberehre.
    »Bei was?« unterbrach der
Oberstaatsanwalt.
    Das sei noch von früher her, erklärte
Clemens schwerfällig, sie hätten zu Haus als Schinderhannes gespielt, und da
hätte es eine Ehre gegeben, daß man nämlich nie etwas hätte verraten dürfen,
sonst wäre man in Verschiß gekommen... (er verhaspelte sich und kam ins
Stottern).
    »Ja, ja«, sagte Merzbecher, »so haben
wir’s auch gemacht, als Buben. Das verstehen wir schon.« Was denn nun weiter in
dem Brief drin gestanden habe?
    »Ich soll«, sagte Clemens, »versuchen,
mir Fastnachtsurlaub zu nehmen — das hatte ich aber sowieso schon getan, weil
ich zur Mutter wollte...« Er schwieg betreten.
    »Und?«
    »Und ich soll ihn am Samstag um fünf im
›Rote Kopp‹ treffen, dort wolle er auf mich warten, falls ich erst später aus
der Kasern wegkönne.«
    »Sonst stand nichts in dem Brief?«
fragte der Kriminalrat.
    »Dein Ferdinand«, sagte Clemens.
    Merzbecher wartete einen Augenblick, da
er mit Recht annahm, daß Clemens von selbst weitersprechen würde.
    »Ich hab dann die Nacht nicht schlafen
können«, sagte Clemens, »weil ich nie gedacht hätte, daß er noch lebt.«
    »Haben Sie sich nicht darüber gefreut?«
fragte Merzbecher.
    »Doch«, sagte Clemens, »aber ich war
erschrocken.«
    »Wo war der Brief abgeschickt? Von
welchem Ort war er datiert?«
    Diese Frage brachte Clemens in
Verlegenheit — es war ganz klar, daß er es nicht wußte. Der Ferdinand hatte
keinen Ort geschrieben,

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