Die Fastnachtsbeichte
fragte Merzbecher. —
Rosa antwortete nicht mehr. »Sie haben sonst nichts auszusagen, auch wenn wir
Sie unter Eid nehmen?«
»Nichts«, sagte Rosa, und wagte
plötzlich einen Blick zu dem wie unbeteiligt auf seinem Stuhl sitzenden Bäumler
hin, den anzuschauen sie bisher vermieden .hatte. Auch der Kriminalrat schaute
ihn jetzt an.
»Bäumler«, sagte er, »haben Sie die
Suzanne Ripflin gekannt, bevor Sie am Samstagabend das Haus Nr. 14 in der
Kappelhofgasse betreten haben?«
Der Befragte sah ihn an, als ob er
nicht verstanden habe oder in seinen Gedanken mit etwas völlig anderem
beschäftigt sei.
»Schauen Sie sie an«, sagte der
Kriminalrat, »das ist doch das Mädchen, bei dem Sie die Abendstunden des
vorgestrigen Samstag verbracht haben?«
Bäumler wandte sein Gesicht der Rosa zu.
Seine Augen blieben auf ihr haften und zeigten zunächst keine Veränderung und
keinen Ausdruck des Erkennens. Dann aber schien etwas in seinem Blick zu
dämmern. »Ich glaube«, sagte er und begann leicht zu erröten, »aber sie sah
anders aus.« Auch Rosa errötete wieder, während sie ihn anschaute, und es war
für eine Sekunde, als sei um die beiden ein Kreis gezogen, in dem sie ganz
allein waren und sich zum erstenmal erblickten.
»Sie haben sie vorher nie gesehen?«
fragte der Kriminalbeamte noch einmal.
»Nein«, sagte Bäumler, ohne seinen
erstaunten und warmen Blick von dem Mädchen wegzunehmen.
»Dann habe ich an Sie keine weiteren
Fragen mehr«, sagte Merzbecher und bedeutete den beiden Frauen mit einer
Handbewegung, auf ihre Plätze zurückzukehren.
»Ich rufe Herrn Adelbert Panezza«,
sagte er dann, nachdem er sich wieder gesetzt hatte, »und bitte um eine knappe,
zusammenfassende Aussage über die Familienverhältnisse der Familie Bäumler
sowie über die Lebensumstände, unter denen die beiden Brüder Clemens und Ferdinand
Bäumler aufgewachsen sind.«
Panezza schien diese Aufforderung
erwartet zu haben. Er erhob sich und begann in fließender Rede, gleichsam
vorbereitet, zu sprechen. Als er anfing, schlug die Uhr von der nahen
Peterskirche zehn. ›Jetzt‹, ging es Panezza durch den Kopf, ›würde ich in der
Ludwigstraße vorfahren, um Katharina abzuholen...‹ Um elf Uhr elf Minuten
elf Sekunden sollte ja der Fastnachtszug nach vorheriger Aufstellung vom nahen
Schloßplatz aus abmarschieren... Diese Zeitzahl, uh n’ n”, bohrte sich mit der
Hartnäckigkeit eines tickenden Uhrwerks unablässig in seine Gedanken hinein,
während er redete, so daß er sich alle Mühe geben mußte, sie nicht plötzlich
mitten in seiner Rede laut auszusprechen.
Panezzas Aussage war sachlich und klar
und brachte keinerlei überraschende Momente. Natürlich kenne er die Therese
Bäumler und ihre Familie von Jugend auf, da er ja selbst auf Gut Keddrichsbach
groß geworden sei. Frau Bäumler sei einige Jahre jünger als er, aber er habe
sie bei der Kleinheit des Dorfs schon von der Kirche und anderen Anlässen her
flüchtig gekannt, als sie noch, mit ihrem Mädchennamen, Therese Seyffritz hieß.
Ihr Vater sei Taglöhner gewesen, die Mutter Waschfrau, beide seien früh
gestorben und hätten nichts hinterlassen. Die Therese sei dann — soviel er
wisse — als sehr junges Mädchen schon mit dem Bäumler gegangen, also verlobt
gewesen, der — Panezza zögerte ein wenig — auch eine Art Gelegenheitsarbeiter
war, aber kein besonders — erfolgreicher...
Hier unterbrach die Bäumlern, indem sie
mit ruhiger, ganz normaler Stimme sagte: »Er hat gesoffen.« Nur daran merkte
man, daß sie den Ausführungen Panezzas überhaupt zuhörte. Ihr Blick haftete
ununterbrochen mit dem gleichen Ausdruck von Haß und Verachtung auf dem Gesicht
des Verhafteten, der still und mit niedergeschlagenen Augen auf seinem Stuhl
saß.
Ihr älterer Sohn Clemens, fuhr Panezza
fort, sei vorehelich geboren worden, kurz bevor sein eigener Sohn, Jeanmarie,
auf die Welt kam. Da seine Frau durch Krankheit verhindert war, das Kind selbst
zu stillen, habe man damals die junge und kerngesunde Therese als Amme ins Haus
genommen. Als diese dann später ihr zweites Kind erwartete, habe er selbst,
Panezza, den Bäumler veranlaßt, sie nun zu heiraten, und auch etwas für die
Begründung dieses Ehestands getan. Dieses zweite Kind, schon in der
Bäumlerschen Ehe geboren, war dann der Ferdinand — derselbe, der nebenan in der
Totenkammer lag. Als nach einigen Jahren der Bäumler auf dem Rangierbahnhof,
auf dem er mit Verladearbeiten beschäftigt war, tödlich
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