Die Fastnachtsbeichte
haßten ihn. Manchmal fielen sie haufenweise über ihn her —
ganz ohne besonderen Anlaß — und verprügelten ihn. Aber wenn das passierte,
oder wenn ein Stärkerer ihn auf den Schulhof boxte, dann hat ihn der Clemens
immer herausgehauen. Er war ja auch ein bißchen älter, und ich glaube, daß er
den Ferdinand abgöttisch geliebt hat. Der Clemens war immer gutmütig, aber
furchtbar stark, und wenn einer seinem Bruder was tat oder ihm nur etwas
nachsagte, dann wurde er wild. Und wenn er wild wurde...« — er brach ab, als
habe er zuviel gesagt, vielleicht schon etwas, was den Verdächtigen belasten
könne.
»Wie vollzog sich dann«, fragte der
Kriminalrat, »der weitere Werdegang des Ferdinand, ich meine, bis zu seiner
Flucht in die Legion?«
Jeanmarie warf einen kurzen Blick auf
Panezza. »Vielleicht«, sagte er, »kann mein Vater das besser beantworten, weil
er ja für seine Ausbildung sorgte. Ich absolvierte das Gymnasium, machte dann
einige Reisen und trat als Avantageur bei den sechsten Dragonern ein, so daß
ich von den beiden Brüdern nicht mehr viel sah — bis dann der Clemens meiner
Schwadron zugeteilt wurde.«
»Nachdem er mit sehr guten Zeugnissen
durch die Realschule gekommen war«, berichtete Panezza, »habe ich den Ferdinand
als Lehrling auf dem Büro eines befreundeten Weinhändlers in Mainz
untergebracht. Er sollte Kaufmann werden, ich dachte, er hätte das Zeug dazu.
Soviel ich weiß, machte er gute Fortschritte und war dort recht beliebt —
allerdings kamen auch Klagen, und zwar mit der Zeit recht häufig, wegen
Leichtsinns und Weibergeschichten. Er schien eine Neigung zu haben, vor den
Mädchen oder anderen jungen Leuten aufzuschneiden und den großen Herrn zu
spielen — so kam es wohl dazu, daß er Schulden machte, nicht nur in
Wirtschaften, sondern vermutlich auch bei einem Wucherer, der ihn dann in die
Zange nahm. Eines Tages stellte sich heraus, daß in der Kasse der Weinhandlung
gewisse Beträge fehlten — ich glaube kaum, daß es sich um sehr beträchtliche
Summen gehandelt hat — und daß in den Büchern, mit deren Führung der junge
Bäumler beauftragt war, die entsprechenden Eintragungen gefälscht waren. Es kam
noch hinzu, daß er versuchte, einen anderen Angestellten zu belasten und durch
einen Meineid seine eigne Unschuld zu beteuern. So erstattete sein Chef
Strafanzeige. Am selben Tag war Ferdinand Bäumler verschwunden. Man hörte erst
wieder von ihm, als er seiner Mutter von Marseille aus eine Postkarte schrieb.
Von dort und von seinen verschiedenen Dienstorten in Afrika bekam Frau Bäumler
dann manchmal eine weitere Nachricht. Zuletzt kam die schon erwähnte Mitteilung
von seinem Tod — vor ungefähr einem Jahr. Mehr weiß ich nicht.«
»Vielen Dank«, sagte Dr. Merzbecher.
»Ich habe jetzt noch eine Frage an den Herrn Leutnant. In der Tasche des
Anzugs, in dem am Samstag der Clemens Bäumler verhaftet wurde, fanden sich
einige gedruckte Visitenkarten, auf denen Ihr Name, allerdings ohne den
Offiziersrang und mit dem Adelsprädikat, also: ›Jeanmarie de Panezza‹ steht. Haben Sie dafür vielleicht irgendeine Erklärung?« Jeanmarie stand einen
Augenblick wie erstarrt und schaute ratlos zu dem still und fast unbeteiligt
vor sich hinsehenden Clemens Bäumler hin. Panezza hatte sich mit gespanntem
Ausdruck vorgebeugt. Die Bäumlern schien nicht mehr zuzuhören, murmelte leise
und unverständlich.
»Das ist mir vollständig rätselhaft«,
sagte Jeanmarie, fuhr aber dann plötzlich zusammen wie von einem Schreck.
»Ist Ihnen doch etwas eingefallen?«
fragte Merzbecher, der ihn genau im Auge behielt.
»Nein«, sagte Jeanmarie, »allerdings,
der Anzug gehörte ja wohl gar nicht dem Clemens Bäumler...«
»Natürlich nicht«, sagte Merzbecher.
»Es ist anzunehmen, daß er dem Ferdinand gehörte.«
Jeanmarie schüttelte den Kopf. »Ich
habe gar keine Erklärung«, sagte er dann, »ich habe nie solche Visitenkarten
besessen. Ich verstehe das alles nicht.«
»Wir leider auch noch nicht«, sagte der
Kriminalrat. »Aber ich hoffe, daß Clemens Bäumler uns einige Aufklärungen geben
wird.« Er schaute Clemens an, der immer noch wie unbeteiligt vor sich hin sah
und den Blick seiner Mutter vermied.
»Ich rufe den verhafteten Clemens
Bäumler«, sagte Merzbecher.
»Den wegen Mordverdachts verhafteten
Clemens Bäumler«, knarrte die Stimme des Oberstaatsanwalts dazwischen.
»Ich bitte, die Formulierung der Anrufe
mir zu überlassen«, sagte der Kriminalrat.
»Es ist meine
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