Die Fastnachtsbeichte
verunglückte, habe
Panezza als einheimischer Gutsherr und Armenpfleger sich der Familie ein wenig
angenommen und dann und wann in Notlagen ausgeholfen. Noch heute werde die
Witwe Bäumler in seinem Haus beschäftigt, sobald es irgendwie zusätzliche
Arbeit zu verrichten gebe. Das wäre wohl alles.
»Darf ich«, sagte Dr. Merzbecher nach
dem üblichen Dank für Panezzas Aussage, »Ihnen noch eine kurze Frage vorlegen,
die Ihnen vielleicht sonderbar vorkommen wird, deren Beantwortung für die
Untersuchungskommission jedoch von einer gewissen Bedeutung ist. Haben Sie
nicht eigentlich ein Adelsprädikat?«
»Ja«, sagte Panezza und ließ ein
kurzes, verlegenes Fachen hören, »das ist so, mein Großvater hatte im Hofdienst
den erblichen Adel erworben und nannte sich von, oder auf Reisen de Panezza.
Mein Vater aber war als sehr junger Mensch Achtundvierziger und sein Leben lang
ein überzeugter Demokrat, daher machte er keinen Gebrauch von dem Titel und so
ist das dann geblieben. Darf ich fragen, was dies mit der vorgehenden Untersuchung
zu tun hat?«
Er werde sich erlauben, etwas später
darauf zurückzukommen, sagte Dr. Merzbecher — möchte jetzt zunächst den
Leutnant Jeanmarie de Panezza (es war nicht klar, ob er ihn mit Absicht oder
versehentlich so nannte) bitten, gleichfalls in möglichst knapper,
zusammenfassender Art etwas über die Jugend und den Charakter der beiden Brüder
Bäumler auszusagen.
»Da Clemens etwas älter war als ich«,
begann Jeanmarie, »und Ferdinand ein Jahr jünger, gingen wir alle gemeinsam in
die Keddricher Dorfschule, weil mein Vater Wert darauf legte, daß ich die
Volksschulzeit wie die anderen Kinder dort auf dem Land durchmachen sollte. In
diesen Kinderjahren, schon vor der Volksschule und bis ich dann aufs Gymnasium
kam, war ich mit beiden Brüdern sehr befreundet und spielte viel mit ihnen.
Besonders der Ferdinand kam oft zu uns ins Haus. Mit dem Clemens aber«, sagte
er mit einem warmen Blick zu dem Verhafteten, der an seinen Lippen hing, »war
ich besser befreundet.«
»Warum?« warf Merzbecher ein.
»Ich mochte ihn halt besonders gern«,
sagte Jeanmarie, »und wir waren ja sozusagen Milchbrüder.«
Es sah aus, als ob der Verhaftete mit
den Tränen kämpfe, dann schaute er wieder auf den Boden.
»Später«, fuhr Jeanmarie fort, »verlor
ich den Clemens etwas aus dem Gesicht, denn er blieb in der Dorfschule, während
Ferdinand in Mainz die Realschule besuchte. Wir benutzten denselben Schulzug
nach Mainz-Kastel und gingen dann noch zusammen über die Straßenbrücke, von
dort aus hatten wir verschiedene Schulwege.«
»Einen Augenblick bitte«, unterbrach
Dr. Merzbecher, »der Ferdinand besuchte also die Realschule, während Clemens
weiter auf die Dorfschule ging. Hatte das einen besonderen Grund?«
»Darf ich das vielleicht beantworten«,
sagte Panezza, »Frau Bäumler hätte für die Realschule das Schulgeld nicht
zahlen können, ich habe es für ihren Sohn Ferdinand gezahlt.«
»Weshalb für den, und nicht für
Clemens?« fragte Merzbecher.
»Weil Ferdinand zweifellos der
intelligentere war«, sagte Panezza. »Der Clemens war immer sehr brav«, fügte er
rasch hinzu, »aber weniger lernbegabt. Er nahm dann auch gleich nach
Absolvierung der Dorfschule Arbeit in unserem Sägewerk und unterstützte, soviel
ich weiß, fortgesetzt seine Mutter.«
»Können Sie sonst«, wandte der
Kriminalrat sich wieder an Jeanmarie, »etwas über die Charaktere, oder
vielleicht die Charakterunterschiede, der beiden Brüder sagen?«
»Der Ferdinand«, begann Jeanmarie nach
einem kurzen Nachdenken, »war ein besonders lebhafter, man könnte sagen,
phantasievoller Bub. Schon beim Spielen hatte er immer die besten Ideen. Aber
er neigte auch von Kind auf zu einem gewissen Leichtsinn, nahm es nicht so
genau mit der Wahrheit, schwänzte manchmal die Schule, was aber nicht weiter
ins Gewicht fiel, da er ungewöhnlich leicht lernte und überhaupt sehr beliebt war,
das heißt« — fügte er mit einem scheuen Blick auf die Bäumlern hinzu, die jetzt
lautlose Kaubewegungen machte — , »mehr bei den Lehrern als bei den
Mitschülern.«
»Mit besonderen Gründen?« warf
Merzbecher ein.
»Er war nicht feige oder schwächlich«, sagte
Jeanmarie zögernd, »aber nie sehr stark, und auch nicht besonders mutig, eher
manchmal tollkühn. Er hatte etwas an sich — ich kann es schwer ausdrücken — ,
was die anderen reizte, entweder waren sie ihm verfallen und taten alles, was
er wollte, oder sie
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