Die Fastnachtsbeichte
nur den Tag, das war der Mittwoch. Und am Freitagabend
war der Brief gekommen.
Aber auf dem Umschlag müsse doch eine
Briefmarke gewesen sein und ein Stempel. — Ja, eine Marke schon, eine
fremdländische, und auch ein fremdländischer Stempel, der sei verschmiert
gewesen, und er habe auch nicht daran gedacht, ihn genau anzugucken, denn der
Ferdinand würde es ihm ja sagen, wo er herkäme — er hätt’s ihm aber dann doch
nicht gesagt. Wie er den Brief bekommen habe, da hätte er an so was gar nicht
gedacht, da war er viel zu erschrocken. Es habe aber noch was in dem Brief drin
gestanden, unten, am Rand... »Nämlich?« — »›Vernichte diesen Brief sofort, daß
ihn keiner findet.‹« — Da sei er dann in die Latrine gegangen, habe den Brief
in kleine Stückchen zerrissen und mit einem Streichholz verbrannt. — »Mitsamt
dem Couvert?« — »Mitsamt allem.« — »›Räuberehre‹«, sagte Merzbecher seufzend,
und irgend jemand ließ ein leises Lachen heraus, das aber sofort wieder
verstummte.
»Um halb fünf war der Stalldienst aus«,
fuhr Clemens fort, »und da mußte ich mich erst waschen und umziehen und
abmelden. « Er schaute zu Wachtmeister Gensert hin, der bestätigend nickte.
»Wie ich dann in den ›Rote Kopp‹ gekommen bin, hab ich ihn erst nicht gefunden.
Aber er war schon da. Es gibt nämlich zwei Gaststuben, das Restaurant, und das
Zimmer. Um die Zeit sind dort noch nicht viele Leute, aber im Restaurant waren
doch schon ein paar, im Zimmer war niemand, aber hinten ist dort eine Ecke, mit
einer Stufe und einem Geländer und einem Vorhang, den kann man zuziehen — drum
heißt das die ›Knutsch-Ecke‹ —, es hat noch kein Licht gebrannt, und da hat er
gesessen.«
»In dem braunen Anzug?« fragte
Merzbecher und wies auf das Kleidungsstück in dem offenen Wandschrank.
»Ja, aber er hat auch noch den hellen Mantel
bei sich gehabt, und den weichen Hut.« (Auch diese Stücke hingen im
Wandschrank, man hatte sie bei Clemens Bäumlers Verhaftung gefunden und
mitgebracht.)
Wie sich dann nun das Weitere
abgespielt habe? Zuerst, berichtete Clemens, habe der Ferdinand zu lachen
angefangen, und da habe er auch lachen müssen, und dann hat ihn der Ferdinand
wie früher in die Rippen geboxt und noch mehr gelacht, und dann hat er gesagt:
»Siehst du, Unkraut vergeht nicht.« Dann habe der Ferdinand die Kellnerin
gerufen und Bier und Schnaps bestellt, gleich zwei doppelte Asbach, und habe
ihm gesagt, den solle er mal runtertrinken, das helfe über das Gemütliche
hinweg — Clemens wollte wohl sagen: die Gemütsbewegung — und das mache auch
Mut, und auf den Mut käm’s jetzt an. Clemens merkte aber trotzdem, daß der
Ferdinand Angst hatte. Er schaute immer wieder zur Tür, und öfters zum Fenster
hinaus, und hielt sich hinter dem Vorhang versteckt, als ob er sich vor was
fürchte.
Da hätte er dann den Schnaps ganz
ausgetrunken und das Bier hinterher, und von da ab, da sei’s ihm schon ein
bißchen schwummerlig gewesen, und er hätte manches gar nicht sofort kapiert —
erst hinterher, so langsam, da sei ihm alles aufgegangen.
Und nun erzählte Clemens, manchmal
stockend und von den Fragen des Kriminalkommissars wieder in Fluß gebracht,
folgende Geschichte:
»›Wenn wir Mut hätten‹, begann der
Ferdinand, ›dann könnten wir jetzt unser Glück machen, alle beide. In Afrika‹,
sagte er, ›war es die Hölle gewesen. So ein Legionär, das ist weniger als der
letzte Dreck. Von den Offizieren verachtet, von den Unteroffizieren geschunden,
von den Kameraden beklaut, oder auch Schlimmeres, das kann man gar nicht
erzählen, was manche von den Alten nachts in der Baracke an einem Neuling
treiben, perverse Unmenschen sind das, und wenn man schreien will, kriegt man
eine aufs Maul.‹ Sein Leben lang, sagt er, wird er schwitzen, wenn er davon
träumt, von den schrillen hastigen Clairons und den Kesselpauken, und dem
Hufgetrappel der Spahipferde und dem ›Vite! Vite!‹ der Sergeanten, wenn sie im
Laufschritt Parade machten, mittags um zwölf auf der Place d’Algérie, und die
aufgeputzten Damen auf den Caféterrassen dazu in die Hände klatschten. Dem
Ferdinand brach, als er das erzählte, auch wirklich der Schweiß aus, wie
Angstschweiß liefs ihm aus den Haaren und von der Stirn, aber er sagte, das sei
die Malaria, ›wer die mal gehabt hat, den packt das Fieber nach dem ersten
Schnaps«. Und er bestellte für jeden noch einen Doppelten.
›Später‹, fuhr er fort, ›auf
Außendienst und
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