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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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Bibliothek.«
    Erst dann wandte sich Panezza und lief
eiligst die Treppe hinunter, wo er in einem kleinen Ankleideraum verschwand.
    Jeanmarie hatte die Bäumlern unterm Arm
gefaßt und sanft von ihrem Sitz hochgezogen, auf dem sie während der letzten
Vorgänge in sich zusammengesunken war, als ginge sie das nichts mehr an.
    Auch als man Clemens abführte, hob sie
den Kopf nicht und gab ihm keinen Blick.
    Jetzt aber drängte sie plötzlich mit
einer Kraft, der Jeanmaries schmale Schultern nicht gewachsen waren, ihn mit
sich schleifend, auf die verschlossene Tür der Leichenhalle zu.
    »Er hat zu mir gewollt«, stieß sie
immer wieder hervor, mit einer rauhen, zornigen Stimme, »er hat zu mir gewollt,
ich will ihn mir holen!«
    Der Saal war inzwischen fast schon
geräumt, nur Merzbecher und der Gerichtsdiener waren noch zurückgeblieben, und
diese beiden eilten dem wehrlosen jungen Mann zu Hilfe.
    »Ihr Sohn«, sagte Merzbecher, während der
Gerichtsdiener sich mit ausgebreiteten Armen vor die ohnehin verschlossene Tür
stellte, »wird Ihnen nach Hause gebracht werden, sobald die notwendigsten
Untersuchungen abgeschlossen sind. Sie können dann wegen der Beerdigung frei
verfügen — man wird Ihnen sicher beistehen — , er kann dann in seinem
heimatlichen Friedhof beigesetzt werden... «
    Er redete immer weiter, obwohl er
wußte, daß die Bäumlern nicht auf ihn hörte, um sie durch den Stimmklang zu
beruhigen und abzulenken, wobei er Jeanmaries Versuch, sie wegzuführen,
vorsichtig unterstützte. Sie gab dann auch allmählich ihr Drängen nach der
Leichenhalle auf und folgte, ohne zu weinen oder noch ein Wort zu äußern, mit
verbissenen Lippen den Herren hinunter, wo sie sich von Jeanmarie
widerstandslos in das Mietauto setzen ließ.
    Am nahen Schloßplatz begann schon mit
donnerndem Paukenschlag und mächtigem Getöse die Musikkapelle Seiner Närrischen
Majestät mit dem Fastnachtsmarsch, der das Anrollen des Festzugs einleitete,
und man hörte die Große Bleiche entlang bis zum Münsterplatz das laute,
ungeduldig hallende Geschrei der spalierstehenden Leute und Kinder.
    Der Domkapitular Henrici hatte sich
einen geschlossenen Einspänner kommen lassen, da er in seinem geistlichen
Gewand nicht gut durch das Maskentreiben hätte zu Fuß gehen können. Mühsam
suchte sich der Wagen auf weniger belebten Seitengassen seinen Weg durch die
Stadt. Dicht hinter ihm her klapperte eine andere, etwas noblere, zweispännige
Chaise und fuhr, als Henrici beim bischöflichen Palais die seine verließ, ein
paar Straßen weiter — ins Schifferviertel.
     
     
    N achdem Jeanmarie die Bäumlern bei ihrem
Backsteinhäuschen abgesetzt und sich umgekleidet hatte — denn ein uniformierter
Offizier mochte in diesen Tagen der Maskenfreiheit ebenso ungern durch die
Straßen gehn wie ein geistlicher Herr oder eine stadtbekannte Hurenmutter — ,
fuhr er mit dem Dampfschiff nach Mainz zurück und begab sich, durch das
ungeheure Gedränge in der Rheinallee, am Fischtor und in der Marktgegend mühsam
vordringend, zur Wohnung der Bekkers in der Ludwigstraße.
    Die große, weiträumige Etage hatte eine
Fensterflucht, sogar einen offenen Balkon zur Straßenseite, von wo man den
Fastnachtszug, der zweimal — am Anfang und am Ende seines langen Marsches durch
die Stadt — dort vorbeirollte, aus genügender Nähe und in aller Bequemlichkeit
ansehen konnte. Die Bekkers pflegten, wie die meisten Leute, an deren Wohnungen
der Zug vorüberkam, ihre weniger begünstigten Freunde und Bekannten alljährlich
zu diesem Schauspiel einzuladen und reichlich zu bewirten — dies Jahr war durch
das Mitwirken ihrer Tochter Katharina an so illustrer Stelle doppelter Anlaß
zum Feiern, wozu natürlich auch die Familie Panezza gebeten war. Vor dem Haus
stand die Menge Kopf an Kopf, bis zu der von einem Sperrseil gesäumten Trottoirkante,
und zahllose ›Bittel‹, nämlich Halbwüchsige aus jenen Schichten, die man im
Gegensatz zu den ›feinen‹ oder den ›besseren Leuten‹ nur »die Leut« nannte,
stießen sich wie die Stierkälber dazwischen herum.
    Als Jeanmarie sich endlich einen Weg zur
Haustür gebahnt hatte und dann die Bekkersche Wohnung betrat, fand er die Gäste
durchweg auf den mit Sitzkissen belegten Fensterbänken zusammengedrängt oder
draußen auf dem Balkon; denn der Zug sollte auf seinem zweiten Vorbeimarsch
jeden Augenblick erscheinen: man hörte schon das Schüttern und Dröhnen vieler,
miteinander wüst disharmonierender Musikkapellen aus

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