Die Fastnachtsbeichte
Spottlust, ansteckender Lachbegier und milder
Selbstironie getönt war. Und doch machte sich, besonders mit dem weiteren
Vorrücken des Zugs, das eine leichte, rüttelnde Beschleunigung mit sich
brachte, auch eine Art von feierlicher Tollheit spürbar, etwas Hintergründiges
und Verstecktes, Unausgesprochenes, Absichtsloses, ein Schauer geheimer
Dämonie, wie er aller Vermaskung anhängt und der ganz nah bei der Anbetung
wohnt, eine Mischung von Bakchentanz und Prozession... Da wurden, durch
überlebensgroße Pappfiguren oder Gruppen kostümierter Leute, von quergespannten
Spruchbändern verdeutlicht, aktuelle Ereignisse aus der großen und kleinen
Politik persifliert, pikante oder schildbürgerliche Lokalgeschichten verulkt,
mancherlei hochmögende oder sich so dünkende Persönlichkeiten durch den Kakao
gezogen, je nach Witz oder Deftigkeit von der Menge mit Lachsalven,
Beifallsgeschrei, Händeklatschen, Scherzrufen begrüßt. Auf anderen Wagen waren
allbekannte ›Sprüch‹, notorische Redensarten oder Schlagworte der Zeit
parabelhaft dargestellt, und traditionelle Symbole oder Gestalten aus der Sage
und dem Alltag der Stadt — der Vater Rhein, der alte Willigis, das Rollerad,
der Bawwelnit, der Gogges vom Neue Brunne, der preußische Stadtgouverneur und
die Grashüpper vom Großen Sand (nämlich die dort experimentierenden ersten
Sportflieger) travestiert — und zugleich wie mythische Helden- und Götterbilder
dem Volk preisgegeben und vom Volke verlacht oder gefeiert.
Plötzlich aber entstand in dem
Riesenlärm eine Art von akustischer Oase, indem wohl eine der Blaskapellen eben
um die Ecke gebogen, die nächste noch nicht auf dem Plan war oder grad
pausierte — und in diese immer noch von wogenden Geräuschen erfüllte, aber fast
wie Stille wirkende Stauung hinein erscholl das hundertfältige, scharf
rhythmische Bleikugelknattern von einer in Viererreihen marschierenden
Knabentruppe, der ›Kleppergard‹, die wie die Pagen bei einem feudalen Défilé
dem Prunkwagen von Prinz und Prinzessin Karneval unmittelbar vorausschritten.
Mit ihrem Gefieder aus bunten Papierschnitzeln und ihren mehlweißen Spitzkappen
über den frischen Gesichtern zogen sie kräftig daher, unermüdlich die Klepper
schwingend, und ihr blanker einstimmiger Bubengesang erfüllte die Luft mit dem
Jubel jener Vögel unter dem Himmel, die sich um ihre Lebsucht nicht zu kümmern
brauchen.
Als nun der purpur- und goldbehängte
Thronsessel, auf einem mit leichteren Pferden beschirrten Landauer aufgebockt,
mit den Närrischen Majestäten über den Köpfen der Menge erschien, bemerkte man
in der Bekkerschen Wohnung den affigen jungen Regierungsassessor, Katharinas
präsumptiven Bräutigam, der bisher nicht weiter aufgefallen war, sich jetzt
aber völlig unsinnig und lächerlich benahm. Wie ein gepeitschter Drehkreisel
oder ›Dobbisch‹ raste er, vor Eifer um seine eigene Achse wirbelnd, von Fenster
zu Fenster, zwängte sich mit Kopf und Schultern zwischen den anderen Zuschauern
hindurch nach vorne, schrie, brüllte, jodelte, juchzte und kreischte hinunter,
ruderte mit beiden Armen in der Luft, die Hände wie Schlagzeugdeckel
aufeinander schmetternd, und wäre schließlich beinah übers Balkongeländer
abgestürzt, hätte ihn nicht jemand noch rasch an den Beinen gepackt.
Ob Katharina seine vordringlichen
Ovationen bemerkte, blieb unerfindlich. Sie lächelte höchstens einmal flüchtig
und ohne den Kopf zu heben zu ihrer elterlichen Wohnung hin. Die beiden, Prinz
und Prinzessin, saßen in ihren glitzernden Gewändern mit einer
marionettenhaften Grandezza auf dem Thron, und ihre Bewegungen, wenn er das
Zepter, sie den Blütenstab hob, wenn sie der Menge zuwinkten, sich huldvoll
nach vorne und nach den Seiten neigten und mit lächelnder Miene den rasenden
Beifall der Straße und der besetzten Fensterfronten entgegennahmen, hatten
etwas Abgezirkeltes, fast Automatisches. Ihre Arme, sein rechter, ihr linker,
waren ineinandergelegt, ihre Hände berührten sich nicht, und sie vermieden wohl
auch, einander anzusehen. Ihre Haltung war ganz die von wirklichen, nicht von
gespielten oder spielenden, Majestäten, die gewohnt und erzogen sind, hinter
höfischem Zeremoniell und leutseliger Freundlichkeit Gedanken, Gefühle,
Meinungen, überhaupt ihr wahres Selbst zu verbergen. Tatsächlich waren sie so
in sich selbst versunken, daß sie kaum bemerkten, was ihre Hände und Gesichter
taten und ausdrückten. Grade dadurch aber ging von ihnen die Strahlung
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