Die Fastnachtsbeichte
vor oder
im Eingang zum Dom erstochen, um das Geld allein zu behalten, das wissen wir
doch alles. Ja oder nein?«
»Ich protestiere«, rief Dr. Levisohn
und sprang auf, »gegen diese Art von Suggestivfragen.«
»Schweigen Sie«, brüllte Classen,
»Herr—«
Jetzt verlor Merzbecher die Geduld.
»Herr Oberstaatsanwalt«, rief er ziemlich erregt, »ich bitte, die Befragung mir
zu überlassen! Das ist nicht Ihr Ressort!«
Classen zerrte verärgert an seinem Bart
und trommelte mit der anderen Hand auf dem Tisch. »Dann wursteln Sie halt
weiter«, sagte er dann mürrisch, »Sie werden schon sehn, wo Sie hinkommen.«
Wieder war es einen Augenblick still,
Merzbecher schien nach dem Faden zu suchen, an dem er neu anknüpfen könne,
Clemens schaute unter sich. »Wie haben Sie sich dann«, hub Merzbecher wieder
an, »von Ihrem Bruder getrennt?«
Dem Clemens entrang sich ein schwerer
Atemzug. »Das ging dann rasch«, sagte er. »Der Ferdinand rief die Kellnerin,
und zahlte alles...«
»Von welchem Geld?« fragte der Kriminalrat.
»Von seinem«, sagte Clemens, »er hatte
genug in der Rocktasche, das hatte er sich rausgenommen vorher, und ich hatte
mir meine gesparte Löhnung eingesteckt, das waren zwei Goldstücke. Die wollte
ich« — sagte er fast unhörbar — »die wollte ich nämlich der Mutter bringen —
eigentlich.«
»Und dann?«
»Dann sagte der Ferdinand ›Tschüs, und
mach’s gut‹ und wollte fort, und da wurde mir auf einmal ganz angst und ich
hielt ihn am Arm und sagte, wo soll ich denn hin, bis morgen früh, und da hat
er gelacht und gesagt: ›In den Kappelhof, aber behalt den Rock an. ‹ Dabei
hat er mich in die Seite geboxt, wie früher als, und war weg.«
Damit setzte Clemens sich erschöpft auf
seinen Stuhl, als habe er nichts mehr zu sagen.
»Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte
Merzbecher, »wenn Sie müde sind, aber erzählen Sie uns noch ganz genau, was Sie
dann gemacht haben — oder — was Ihnen begegnet ist — , bis man Sie schließlich
im Kappelhof verhaftet hat.«
Clemens machte ein Gesicht wie jemand,
dem es schwerfällt, sich an etwas zu erinnern. Aber er stand wieder auf.
»Ich bin dann hinaus«, sagte er,
»gleich nach dem Ferdinand — da war mir doll im Kopf, von dem Bier und den
Asbach, und auch sonst, und ich bin eine Zeitlang durch die Gassen gelaufen.«
»Wie lang?« fragte Merzbecher.
»Eine Zeitlang«, sagte Clemens, »ich
hab nicht aufgepaßt. Übers Höfchen konnte ich nicht hinüber, da war grade der
Umzug, da hab ich warten müssen.«
»Und dann?«
»Dann bin ich in den Kappelhof.«
»Gleich? Ohne Umweg?«
»Gleich.« — Nur Classen lachte
ironisch.
»Sind Sie am Dom vorbeigegangen?«
fragte Merzbecher, ohne besondere Betonung.
»Ja«, sagte Clemens, »da muß man ja
vorbei.«
»Und von Ihrem Bruder haben Sie nichts
mehr gesehen?«
»Nein.«
»Hatten Sie eine Vermutung, daß er in den
Dom gegangen sein könnte? Hat er irgendeine solche Absicht geäußert?«
»Nein«, sagte Clemens und schüttelte
den Kopf.
»Und warum sind Sie dann in den
Kappelhof gegangen?«
Clemens antwortete nicht.
»Ich meine«, sagte Merzbecher, »sind
Sie nur dorthin gegangen, weil Ihr Bruder das gesagt hatte?«
Clemens bewegte die Lippen und wurde
über und über rot.
»Ich — ich war schon lange bei keinem
Mädchen«, sagte er dann, mit einem Ausdruck unendlicher Verlegenheit und Scham,
»ich gehe mit keiner — und in Uniform darf man dort nicht hin.«
Er richtete plötzlich einen verzagten
Blick in die Ecke, wo neben Frau Guttier die Rosa saß, als suche er Hilfe,
Trost und Verständnis.
»Nun«, sagte Merzbecher, selbst etwas
verlegen und unwissentlich errötet, »erinnern Sie sich an die Äußerungen, die
Sie dort getan haben?«
Clemens wandte ihm das Gesicht zu, mit
einem angestrengt suchenden Blick. Er wisse nur, daß er rasch getrunken habe,
sagte er dann, um alles zu vergessen. Aber je mehr er hinunter goß, desto
klarer kam alles herauf.
»Und ich mußte denken«, sagte er, »die
ganze Zeit, daß ich jetzt auf alle Fälle ein Verräter bin, ein Judas, entweder
an meinem Bruder, der auf mich traut wie auf keinen sonst und nicht allein sein
will — oder am Regiment, wenn ich davon geh, als Deserteur. Ich wollte aber
keiner sein, das war mir jetzt nur passiert, und ich wußte gar nicht mehr
wohin, und war lieber tot gewesen. — Ich war immer gern Soldat«, sagte er nach
einer Pause, »und bin jetzt Stubenältester, ich habe mein Pferd gern und meine
Stube, und
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