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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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einer so
echten Würde und Hoheit aus, wie sie bewußt und mit Absicht darzustellen ihnen
kaum gelungen wäre, und selbst einen gelernten Komödianten auf die Dauer
überanstrengt hätte. Auf die Menge, die ja in ihnen ihre selbsterkürten, aus
ihrem Fleisch und Blut geschaffenen Potentaten, einen ihrem Wunsch und Willen
untertänigen Traum von Glanz und Adel sehen wollte, wirkte dieses sonderbar
rituelle, jeder Gewöhnlichkeit bare und eher steif distanzierte als populäre
oder dionysische Verhalten der beiden dort oben, in ihrer von tausend Augen
bespähten Ein- und Zweisamkeit, gradezu berauschend: man fand, daß sie fürs
Volk ein großes, nie gesehenes Schauspiel gäben, und jubelte ihnen zu wie
gnadebringenden Weihegöttern — was von ihnen mit einer vornehm gelassenen, ja
ernsten und wissenden Anmut und Artigkeit quittiert wurde. Katharina war schön
wie ein Bild, es war kaum zu denken, daß sie wirklich lebte, wäre nicht das
unregelmäßige Atmen ihrer Brust gewesen, in dem sich die verborgene Erregung
Luft machte — und von Panezza ging eine so noble, melancholisch ergebene
Selbstbeherrschung aus, daß es den Geschwistern, die bereit waren, alles dumm,
albern und geschmacklos zu finden, die Spottlust verschlug, und sie auf eine
eigne, ihnen selbst unerklärliche Weise ergriff und bewegte.
    Auch Viola schien von dem Besonderen
und Ungewöhnlichen dieses Aufzugs ergriffen zu sein, so sehr, daß sich ihre
Augen verdunkelten und mit Tränen füllten. Fast reglos, mit offenen Lippen,
kauerte sie neben Jeanmarie, der sie immer wieder verstohlen anschauen mußte,
und erst als der Prunkwagen schon vorüber und beinah den Blicken entschwunden
war, neigte sie sich vor und streckte, wie alle andern, den Verschwebenden
nachwinkend, Arm und Hand hinaus. Dabei bemerkte Jeanmarie an ihrem Handgelenk,
das schmal und zart den vollen weißen Arm abschloß, einen Reif, den sie bisher
nicht getragen hatte: etwas mehr als fingerbreit, aus mattem, vom Alter
nachgedunkelten Silber, der sich in der Mitte zu einem fein ziselierten,
wappenartigen Weinblatt erweiterte. In dieses Blatt war ein M eingraviert — in
der gleichen, leicht geschwungenen Schrift, die sich ihm im Gerichtssaal
unverwechselbar eingeprägt hatte.

Ihm war, als werde ihm ein Stilett
durch die Herzwand gestoßen. Seine Schläfen hämmerten, sein Kopf begann zu
dröhnen. Einen Augenblick hielt er sein Gesicht in den leicht nach Apfelsinen
duftenden Luftzug, der vom Rhein her wehte. Dann faßte er, während das Gefühl
von Schwindel und Ohnmacht ihn allmählich verließ und einer bebenden Spannung
Platz machte, wie absichtslos ihre Hand und hielt sie dicht vor seine Augen.
    Drunten nahte sich das Schwanzende des
Zuges mit einigen besonders komischen Figuren, den als ›Krüppelgard‹ grotesk
aufgemachten Schleppenträgern der dickbusigen Göttin Moguntia, die von einem
athletischen Mann in Weiberröcken dargestellt wurde — so daß seine ihr
zugeflüsterten Worte, vom tosenden Gelächter übertönt, auch von Bettine nicht
gehört werden konnten.
    »Habt ihr dieses M«, fragte er sie in
ihr Ohr, »auch auf andren Familienstücken? «
    »Kennst du es nicht?« antwortete sie
mit unbekümmerter Stimme, »es ist das Geschlechterzeichen der Moraltos, des
sizilianischen Zweigs. Bei uns wimmelt’s davon, man findet es auf all unsren
alten Sachen.«
    »Auch auf Waffen vielleicht?« fragte er
rasch — »auf einer eingelegten Pistole zum Beispiel — oder auf dem Griff eines
Stiletts? «
    Ihre Augen weiteten sich, ihr Gesicht
wurde weiß bis in die Lippen. Ihre Hand, die er noch in der seinen hielt, war
kalt und feucht geworden. Sie entzog sie ihm und preßte sie auf ihr Herz.
    »Was weißt du?« flüsterte sie dann.
    »Nichts«, sagte Jeanmarie — und er
sprach damit die Wahrheit und die Unwahrheit zugleich. Aber der Mund war ihm
versiegelt.
    »Nichts«, wiederholte er, und dann fast
stammelnd, dicht an ihrem Hals: »Ich will dir helfen...«
    Sie schwieg eine Zeitlang, ihre Blicke
irrten auf die Straße hinaus. »Bring mich nach Hause«, sagte sie dann, ohne ihn
anzuschaun. »Ist dir nicht wohl«, fragte Jeanmarie, »soll ich einen Wagen
besorgen?«
    Sie schüttelte den Kopf, erhob sich mit
ruhiger, gesammelter Energie und schritt zur Tür, ohne sich von Bettine zu
verabschieden.
    Jeanmarie folgte ihr rasch und sorgte
dafür, daß man ihr Mantel und Kopftuch brachte — einen Hut zu tragen war weder
für Herren noch für Damen ratsam in diesen Tagen. Dann ging er noch

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