Die Favoritin
Huarmicuc wählte mich aus. Ich sagte meiner Familie Lebewohl und kam in das Acclahuasi.
Pater Juan, wenn Ihr wollt, setzen wir die Geschichte nach unserer Mahlzeit fort …
Pater Juan de Mendoza
Zu Cuzco in Peru, den 30. September 1572
Erquickliche Mahlzeit. Die Speisen ausgezeichnet, goldenes Geschirr, Weine von der Mancha. Die Fische kamen frisch aus dem Meer, die Früchte, Ananas, Mango und Avocado, vom Osthang der Sierra, wie sie mich unterrichtete. Alles ganz köstlich. Kein Neger unter der Dienerschaft, nur Indios. Aber lassen wir diese Eitelkeiten. Leider muß ich feststellen, daß ich dafür noch immer viel zu empfänglich bin.
Während ich auf sie warte, mache ich mir gewohnheitsgemäß rasch einige Notizen.
Ich glaube, meine Einführung war gelungen. Nichts in ihrem Verhalten deutet daraufhin, daß sie errät, welcher Zweck mich hierher führt. Doch wie soll man das wissen? Wer sich schuldig fühlt, schöpft überall Argwohn.
Eines weiß ich schon jetzt, nämlich daß ich allein nach meinem Gewissen werde urteilen müssen. Aus der Ferne gesehen, ist eine Indianerin, auch wenn sie durch Vermögen und Ruf Geltung genießt, letztlich doch eine Indianerin, das heißt ein Wesen, dessen Gehirn über beschränkte Fähigkeiten verfügt (wobei das Geschlecht noch abwertend hinzutritt). Im vorliegenden Fall haben wir es jedoch mit einer scharfen und außergewöhnlichen Intelligenz zu tun, die um so gefährlicher ist, als sie sowohl über die ihrer Rasse eigenen Listen gebietet wie auch über Kenntnisse, die den unseren abgewonnen sind. Dieser Frau wird man nicht ein Wort, nicht eine Geste entlocken, die sich gegen sie wenden könnten! Ihre Verurteilung wird also ausschließlich von meinem Bericht abhängen. Eine schwere Verantwortung.
Was die so aufschlußreiche Geschichte ihres Lebens angeht, halten wir fest, daß der Inka geradezu alles, bis hin zum Atem eines jeden seiner Untertanen, kontrolliert zu haben scheint. Verblüffende Organisation! Dafür fällt man mit dieser Rekrutierung kleiner Mädchen, die von ihren Familien den Gelüsten eines Tyrannen ausgeliefert wurden, zurück in die pure Barbarei … Gleichwohl kann ich nicht umhin, mir eine Frage zu stellen: Sind wir besser? Sind diese offen akzeptierten Bräuche verwerflicher als die Heuchelei, mit der das Laster sich in unseren Ländern maskiert, oder als jener schändliche Profit, den viele daraus gewinnen?
Doch schweifen wir nicht ab! Ich bin nicht hier, um mir oder unserer Gesellschaft den Prozeß zu machen, sondern um das Böse aufzuspüren, das meine Gastgeberin hinter dem liebenswürdigsten Anschein verbirgt.
Ich höre, sie kommt.
Herr! Möge Deine göttliche Klarheit mir beistehen!
2
Als die Spanier im Verlauf der Conquista die Acllahuasi entdeckten, die es in jeder Provinzstadt gab, verwechselten sie diese Frauenhöfe mit den verrufenen Häusern, die sie daheim zu besuchen pflegten, was so manch einen zu betrüblichen Übergriffen verführte.
Heutzutage wimmelt es hier von Huren, ob aus Spanien oder von anderswo; es lockt eben das leicht zu verdienende Gold. Sogar unserem eigenen Boden entsprießen sie schon! Aber vor der Ankunft Eurer Landsleute, Pater Juan, war dies ein so ehrloses Gewerbe, daß es nur von ein paar körperlich oder geistig Verkümmerten betrieben wurde. Diese Pamparuna lebten außerhalb der Ortschaften, isoliert wie Pestkranke, und hätte eine Frau auch nur das Wort an sie gerichtet, sie wäre öffentlich geschoren und von ihrem Mann verstoßen worden. Was die Männer angeht … Nun, Männer, denen es nur um ihre primitiven Triebe geht, kümmert die Ehrenfrage kaum. Dabei waren gerade diejenigen, die sich der Pamparuna bedienten, auch die ersten, die sie in Worten steinigten!
Dies nur, um Euch zu zeigen, wie schwer die Eurigen sich vergingen. In keinem Kloster Eures Landes dürfte strenger auf Keuschheit gehalten werden, als es in den Acllahuasi geschah. Seht in dem Vergleich keinen Mangel an Respekt. Zu jener Zeit glaubten wir, was unsere Väter und die Väter unserer Väter geglaubt hatten. In ein Acllahuasi zu gehen hieß auch für uns, ein Noviziat anzutreten mit dem höchsten Ziel, eine der Bräute des göttlichen Liebhabers zu werden.
Das Acllahuasi von Amancay machte mich starr vor Staunen.
Gewaltige Mauern aus Granitblöcken schlossen es von der Außenwelt ab. Hatte man diese Mauern durchschritten, betrat man einen reich gepflasterten Vorplatz. Über mehrere edle Stufen gelangte man in das
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