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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davenat Colette
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weißer Wolle und breite gestickte Gürtel, die je nach der Provinz, aus der wir stammten, eine andere Farbe hatten. Die unseren waren blau. Ich empfand es als schlechtes Zeichen: an dem Tag, als ich mir das Bein gebrochen hatte, trug ich einen blauen Faden ums Handgelenk. Seitdem hasse ich Blau und fürchte es … Wir erhielten hauchzarte weiße Schleier und Blumenkränze, um die kleinen Schleier auf unseren langen offenen Haaren zu befestigen.
    Danach strömten in großer Zahl die Priester herein, sammelten uns in Gruppen und schoben uns zum Ausgang. Vom Acllahuasi kamen wir unmittelbar auf die Huacaypata, den Zeremonienplatz. Von der Fülle des Glanzes geblendet, verhielten wir auf der riesigen Esplanade, um die Ansprache des Hohen Sonnenpriesters anzuhören.
    Ich versuchte meinen Geist auf die majestätische Gestalt mit der goldenen Tiara zu richten, über der die goldene Sonnenscheibe inmitten eines Federkranzes erstrahlte, aber verlangt nicht, daß ich Euch die Worte wiedergebe, ich könnte es nicht, und hinge mein Leben davon ab. Kalter Schweiß stand mir in Kreuz und Nacken, meine Beine zitterten. Wir hatten seit dem Vortag gefastet. Mein starkes Wachstum vertrug sich schlecht mit dieser Enthaltsamkeit … Wenigstens entschuldigte ich damit vor mir selbst das feige Versagen meiner Kräfte und die Wirrnis in meinem armen Kopf.
    Unser Defilee begann. Eine nach der anderen warfen sich die Mädchen, die unserer Gruppe vorangingen, vor den zu diesem Anlaß aufgestellten und geschmückten Altären nieder.
    Auf dem ersten erhob sich der Punchao, eine riesige, prachtvolle Scheibe aus massivem Gold, die unseren Vater die Sonne darstellte; auf dem zweiten schimmerte in mildem Glanz die Silberscheibe des Mondes, seiner Gattin und Schwester; und weiter entfernt ragte auf einem goldenen Träger das flammende Bild des Inti Illapa, des Herrn der Blitze, des Regens und des Hagels, empor, eine unserer am höchsten verehrten Gottheiten, Ihr versteht, warum.
    Dann verneigten sich die Mädchen sehr tief vor den Mallqui mit ihren goldgelackten Brauen, ihren prunkvollen Gewändern, die Haare mit Federn und Edelsteinen durchwirkt. Diener fächelten ihnen, andere hielten Schirme aus vielfarbigen Papageienfedern über die erhabenen Häupter … Wer die Mallqui sind? Die Hüllen unserer verstorbenen Inkas, die durch Einbalsamierung den Anschein des Lebens bewahrten. Keine Feierlichkeit war ohne die Mallqui auch nur denkbar. Also hatte man sie aus ihren Palästen geholt, wo ein jeder auch weiterhin über einen wirklichen Hof gebot.
    Ich müßte lügen, wenn ich Euch sagte, daß der Anblick der heiligen Reliquien uns jene Andacht einflößte, die uns zu jedem anderen Zeitpunkt erfüllt hätte. Uns bewegte nur ein Gedanke: Werde ich dem Inka gefallen? Es ging um unser Leben! Und ängstlich verfolgten wir, wie eine Gefährtin nach der anderen vortrat. Eine jede verharrte vor dem Inka. Wenn seine Stirn, die mit dem Llautu und der Mascapaycha, den Insignien der Allmacht, gekrönt war, sich neigte, oh, wie beneideten wir dann die Erwählte! Für sie war die Qual zu Ende. Wir stellten uns ihre Trunkenheit vor, aber ebenso auch die Enttäuschung der anderen, und unsere Kehlen wurden trockener von Mal zu Mal.
    Bald kam unsere Gruppe an die Reihe.
    Mittlerweile konnte ich die Züge des großen Huayna Capac, des zwölften seiner Linie, ziemlich klar erkennen. Er war nicht mehr jung. Aber was bedeutet das Alter für einen Inka!
    Hinter dem Gott-Menschen und der Coya, seiner Gemahlin und Schwester, drängte sich der Adel. Die Segnungen der Sonne, die sich über all diese Feldherren und Würdenträger ergossen, entfachten ein solches Gleißen des Goldes, einen solchen Funkenglanz der Edelsteine, daß es die Augen nicht ertrugen …
    Ein dürrer Schlag traf mich zwischen die Schulterblätter. Ich fuhr zusammen, wandte mich um und begegnete dem steinernen Blick eines Priesters.
    »Schlag die Augen nieder, Unverschämte! Und tritt vor.«
    In meine Ängste und Überlegungen vertieft, hatte ich tatsächlich einen Abstand zu dem Mädchen vor mir entstehen lassen. Eilends holte ich ihn auf.
    Die Hand des Priesters schloß sich um meinen Arm, schwenkte mich herum.
    »Du hinkst«, sagte er.
    Ich leugnete es voll Schrecken.
    Das Defilee wurde unterbrochen. Ein Würdenträger kam, sich zu erkundigen. Der Priester wiederholte seine Beschuldigung, und ich, ohne mich länger zu beherrschen … was hatte ich noch zu verlieren, alles war ja aus! Ich stritt

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